Elsternest

Birgitta M. Schulte kocht polnisches Ruhrgemüse

Begritta M. Schulte Ruhrgemüse, polnisch

Birgitta M. Schulte hat einen „historischen Heimatroman“ veröffentlicht und mit Ruhrgemüse, polnisch ihrer Familie ein Denkmal gesetzt. In Interviews mit dem WDR und der Welt am Sonntag erläutert sie, dass sie auf ein Familienstammbuch gestoßen ist, dass ihr vor Augen führte, dass die Namen ihrer Urgroßeltern polnisch waren. Die stammten aus einer armen, westpreußischen Gegend. Ihr Vater hatte seine Herkunft verschwiegen. Der polnische Name seiner Vorfahren war längst eingedeutscht, aus Koszyński war Kosshofer geworden.

Am Anfang des Romans stand ein Familienstammbuch

Das Interesse von Birgitta M. Schulte war geweckt und sie begab sich auf Spurensuche. Das Ergebnis ihrer Recherchen hat sie in dem Roman Ruhrgemüse, polnisch verarbeitet, der zufälliger Weise in meiner Heimatstadt Dortmund spielt. Über einen Zeitraum von 1893 bis 1931 lässt sie ihre Figuren agieren. Der Roman beginnt mit dem Ankommen in der Fremde und erzählt die Geschichte der Eheleute Adam und Zuzanna Koszyński, in der neuen Heimat Dortmund. Birgitta M. Schulte erzählt von ihrem Zusammenhalt, ihrem Kampf gegen Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Armut.

Adam und Zuzanna hatten in der polnischen Landwirtschaft gearbeitet und erleben nun als Zuwanderer ein Dortmund im Pulsschlag der rasanten industriellen Entwicklung. Ihre Eingliederung in die Dortmunder Arbeiterschaft wird belastet durch Vorurteile, die man den „Polacken“ entgegenbringt. Obwohl man die Polen (ca. 1,5 Millionen) im 19. Jahrhundert ins Ruhrgebiet geholt hatte, wo sie die schlimmsten Arbeiten unter Tage verrichten und in der Stahlindustrie als Arbeitskräfte willkommen waren, wertete man sie gleichzeitig als dreckig, liederlich und faul ab.

Ehefrau Zuzanna bekommt noch einmal die Kurve

Adam, Metall-Dreher-Meister, findet Arbeit in der „Maschinenfabrik Deutschland (MFD)“ und verdient zunächst gut. Durch einen Arbeitsunfall verliert Adam ein Auge und wenig später – aufgrund einer Denunziation – seine Stelle. Denunziert wird er durch einen Deutschen, der Adam die Ehefrau ausspannen wollte. Aber Zuzanna weist den jungen Meister zurück, obwohl sie sich durch seine Galanterien geschmeichelt fühlt.

Adam begeister sich für die Ideen der Genossenschaften und tritt einem Spar- und Bauverein bei, engagiert sich in der Gewerkschaft, bei den Socialdemokraten und arbeitet für die neue Arbeiter-Zeitung. Um die Familie zu unterstützen, nimmt Zuzanna Kostgänger auf und verdingt sich als Näherin bei einer reichen Familie. Die Familie wächst, kämpft um ihre Identität und die neue Heimat. Durch ihren katholischen Glauben haben sie eine starke Rückbindung an ihre polnische Heimat. Ihr deutlich konservativerer und volkstümlich ausgerichteter polnischer Katholizismus steht einer Integration mehr im Wege als das er hilft.

Ruhrgemüse, polnisch spielt vor dem historischen Panorama der Jahrhundertwende bis in die 30er Jahre

Die politischen Bedingungen sind für die Zugewanderten noch schwerer, als für die Einheimischen. Die Entwicklung der Sozialdemokratie, der Große Krieg, 1918 die Soldatenräte, bürgerkriegsähnliche Zustände, Kapp-Putsch, französische Besatzungszeit und Weimarer Republik, beginnende Inflation, all das wirkt sich bedrohlich auf den Haushalt der Kosshofer aus, ganz ähnlich wie es jedem Arbeiterhaushalt in Dortmund in der Zeit widerfahren ist. Ihre Assimilation durch die Namensänderung ist nur vordergründig. Die polnische Herkunft wurde damals durch das Anhängen eines „hof“ oder „-hofer“ markiert. Ihre erste Tochter geben sie schon nicht den polnischen Namen „Ania“ sondern deutschen ihn zu Anja ein.

Vieles erkenne ich wieder

Ich habe vergleichbare Familienerfahrungen. Meine Großmutter väterlicherseits stammte aus Thorn (poln. Toruń). Das liegt 360 km südwestlich von Neumarkt (poln. Środa Śląska) der Heimatstadt der Protagonisten des Romans, Adam und Zuzanna Koszyński, entfernt. Meine Großmutter siedelte 1911 von Toruń nach Paderborn um. Von dort aus zog sie der Liebe und der Arbeit wegen nach Dortmund, wo mein Vater das Licht der Welt erblickte.

Auch mein Vater wollte, wie die Koszyńskis, die polnische Herkunft nicht seinen Kindern zumuten und änderte vor der Heirat seinen Namen von Jeziorski in Seehoff um. Da ich in Dortmund geboren und aufgewachsen bin, kenne ich all die Straßen, Plätze und Industrieanlagen, die in dem Roman eine Rolle spielen, aus eigener Anschauung. Einige Jahre habe ich in der Nordstadt von Dortmund, ganz in der Nähe des Hoesch Stahlwerkes gewohnt, am Borsigplatz, der Wiege des BVB 09. In der Dortmunder Nordstadt spielt der überwiegende Teils des Romans. Die im Roman beschriebenen Details lassen für mich den Roman lebendig werden.

Der Autorin hätte man etwas mehr Mut gewünscht

Doch Birgitta M. Schulte klebt zu sehr an der eigenen Familiengeschichte, die sie möglichst authentisch erzählen will. Das macht sie teilweise mit erklärenden Einschüben und einem längeren Epilog. Für die Handlung des Romans ist das völlig überflüssig. Auch bleiben ihr durch das authentische Erzählen Möglichkeiten verschlossen, die jeder Romanautor nutzen kann: Plotpunkte und dramatische Wendepunkte, die nicht an die Familiengeschichte gebunden sind, entwickelt sie nicht. Dadurch bekommt der Roman etwas von der heute verstaubt wirkenden Arbeiterliteratur der Weimarer Zeit.

Ruhrgemüse, polnisch
Roman
188 Seiten, gebunden, mit Illustrationen von Pauline Stroux
STROUX edition, Preis: 25 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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