Ein wunderbares Literaturfestival ist am Samstag zuende gegangen. Das Literaturhaus Stuttgart hat sich wieder einmal selber übertroffen mit einem vielfältigen Programm. [ÜBER]leben lautet das Motto, unter das die Kuratorin und georgische Autorin Nino Haratischwili das zweite Stuttgarter Literaturfestival gestellt hat:
Gewalt, Leid und Katastrophen können Welten zerstören, Literatur kann sie erschaffen. Neben dem Schrecken, den sie nie auslässt, erzählt sie auch von Schönheit, von Liebe, Freundschaft und Zuversicht. Das Literaturfestival Stuttgart lädt ein, in Texte zu tauchen, die Welt zu durchmessen und Über Leben zu sprechen; uns Wahrheit durchaus zuzumuten, aber es trotzdem zu feiern, das Leben, um an all das zu erinnern, was es so berauschend wertvoll macht.
Ein polnischer Autor berichtet von der ukrainischen Kriegsfront
Einen geeigneteren Eröffnungsredner als Szczepan Twardoch, der 2022 mit einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung westlichen Putin-Verstehern den Kopf gewaschen hatte, habe sie nicht finden können, meinte Nino Haratischwili (siehe hier).
Eine Ausstellung in den Räumen des Literaturhauses setzt die Künstlerin Julia B. Nowikowa mit einem überlebensgroßen Buch als raumgreifendes Objekt in Szene. Ihre langen, schmalen Papierfahnen, die sie im Versammlungsraum aufgehängt hat, zeigen in zarten Farbstiftstrichen Figuren aus Romanen, die eine Rolle beim Literaturfestival gespielt haben. Die transparenten Blätter sind mit Textseiten aus diesen Büchern unterlegt.
Auch Stuttgarter Kulturschaffende gestalten das Festival mit
Am Bismarckplatz im Stuttgarter Westen hatte der Verein Ars Narrandi einen großen Webrahmen aufgebaut. Passanten sollten Stoffe vorbeibringen, die sich mit Geschichten verbinden. Erzählstoff holten professionelle Erzählerinnen des Vereins aus diesen Textilien heraus. Den Faden liefert die Vorstellung des Webens. Anwesend sind am Samstag, als ich vorbeikam, vor allem Kinder mit ihren Eltern. Es ist schwer, einen spontanen Workshop durchzuführen.
Populismus: eine Auseinandersetzung
Eine hochkarätige Diskussion veranstaltete das Auslandsinstitut ifa am 18. Mai 2025 in seinen Räumen: Der ukrainischen Politikwissenschaftler und Faschismusforscher Anton Shekhovtsov kam mit der polnisch-belgischen Philosophin und Forscherin Alicja Gescinska ins Gespräch, das Salome Asatiani, Redakteurin beim Sender Radio Free Europe moderierte.

Heute warnen Medien und politische Analysten vor einem »populistischen Zeitgeist«. Populisten sind weltweit auf dem Vormarsch und untergraben die politischen Systeme der liberalen Demokratieen. Aber was heißt es eigentlich, wenn wir über Populismus sprechen? Das erörteten die drei Diskutanten in englischer Sprache, die von zwei Dolmetscherinnen simultan übersetzt wurde.
Es geht um wirtschaftliche Ungleichheiten, die ein Gefühl der Ohnmacht bei gewöhnlichen Bürgern erzeugen. Doch der populistische Zeitgeist problematisiert eher Fragen der Identität, Migration, Fremdenfeindlichkeit, Anti-Gender-, homophobe Haltungen und Nationalismus. Wo bleiben dabei soziale Gerechtigkeit, Arbeitsplätze, Löhne und Umverteilung? Wer ist „das Volk“, das die rechtspopulistischen Akteure angeblich vertreten? Und wer sind „die Eliten“, die sie angreifen? Darüber diskutierten Shekhovtsov und Gescinska und fragten sich, ob es einen linken Populismus braucht der diesen Agriffen von rechts entgegen gesetzt werden könnte. Auch der Frage, auf welche ähnlichen oder unterschiedlichen Weisen sich der neue Populismus in Amerika, Europa und Russland entfaltet gingen sie auf den Grund.
Die unabhängigen Verlage im Blütenrausch
Das Literaturfestival Stuttgart „[ÜBER]leben“ endet am Samstag, 24. Mai mit dem „Blütenrausch“, dem Markt der unabhängigen Verlage. Noch einmal konnte man den ganzen Tag Kurzlesungen von Autoren der unabhängigen Verlage folgen oder durch die engen Reihen der ausgestellten Bücher flanieren und ungewöhnliche Buchprodurktionen abseits des Mainstreams erleben. Und wenn die Fuße müde wurden, konnte man sich in einen Liegestuhl setzten und das herrliche Sonnenwetter bei einm kühlen Getränk genießen.


