Elsternest

Heinrich Steinfest – Ein neues Manuskript

Das schwarze Manuskript von Heinrich Steinfest

Heinrich Steinfest hier auf dem Blog Elsternest vorzustellen, ist wie Eulen nach Athen tragen. Sehr häufig habe ich schon über ihn geschrieben, siehe hier.

Nun hat Heinrich Steinfest einen neuen Roman vorgelegt, es ist sein 33. Buch in etwa 35 Jahren. Denn erst mit dreißig hat er begonnen, Romane zu schreiben. Vorher war er bildender Künstler, wie er Katharina Borchardt im Literaturhaus Stuttgart in dieser Woche erzählte (nachzuhören hier). Wie so häufig vermischt er in seinem neuen Roman Das schwarze Manuskript eine rasante Handlung mit absurden Plotwendungen, immer ausufernd philosophierend.

An Heinrich Steinfest scheiden sich die Geister

Steinfest auf Montagsdomo
Eben noch als Redner auf der Montagsdemo eilt Heinrich Steinfest zur Vorstellung seines Buches ins Literaturhaus

An Heinrich Steinfest scheiden sich die Geister: entweder man bewundert seine Fabulierkunst oder man lehnt diese ab. Diese ist wie immer eigenwillig und geistreich zugleich. Er jongliert mit metaphysischen Beobachtungen, schiebt anscheinend abwegige Beobachtungen ein und lässt und immer wieder kurze Impressionen aufblitzen. Die Sprache ist sorgfältig und präzise gewählt und doch voller Augenzwinkern.

Ich gehöre eindeutig zu der ersten Gruppe. Auch dieses Buch war für mich wieder das reinste Lesevergnügen, eine vielschichtige Erzählung, die weit über die Grenzen konventioneller Genreliteratur hinausreicht.

Ein Roman steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Heinrich Steinfest

Im Zentrum der Handlung steht Ashok Oswald. Oswald, ein Mann von gemischter indisch-österreichischer Herkunft. Seine Mutter war eine indische Schachkoryphäe, die sich in seinen schachbegeisterten österreichischen Vater verliebte. Als Vorstandsvorsitzender eines international operierenden Mischkonzerns, dessen Geschäftsfelder sich von der Nahrungsmittelproduktion bis hin zur Waffenindustrie erstrecken, verkörpert Oswald den Typus des globalisierten Kapitalisten.

Er, der bereits begonnen hatte – wie man so sagt – ein wenig auseinander zu gehen. Das Hübscheste an ihm war gewiss der Anteil seiner indischen Mutter in seinem Gesicht, wie etwas, das von aller Grobheit gereinigt war, eine Grobheit, die nur noch hinter feinen Zügen hindurchschimmerte.

Er verfügt über immense Macht und und noch mehr Reichtum, doch hat er jeglichen Bezug zu menschlicher Wärme und authentischen Beziehungen verloren. Seine Ehe ist kaputt, er wohnt alleine in seiner großen Villa. Täglich schwimmt er in seinem Pool, den er schon auf einem ansehnlichen Grundstück hat errichten lassen, lange bevor er den Pool mit einer, von einem japanischen Architekten entworfenen, Villa „ergänzte“.

Häufig beginnen die Romane von Steinfest mit ungewöhnlichen Ereignissen

Wie so häufig beginnt Steinfest auch diesen Roman mit einem unerwarteten und ungeheuerlichen Ereignis: Während seine Villa entsteht, kommt etwas vom Himmel:

Denn noch während der Bauarbeiten an der Villa Oswald kam es zu einem dieser Vorfälle, die verrückt klingen, aber letztlich einfach nichts anderes darstellen als eine pure Laune der Natur. Eine Laune, die darin bestand, dass ein knapp drei Kilogramm schwerer Gesteinsbrocken, der seit viereinhalb Milliarden Jahren im All unterwegs gewesen war, in genau diesen Pool fiel. Welcher im Moment des Einschlags gerade ohne Wasser gewesen war. Und obwohl der Brocken mittels seines Erdeintritts einiges seiner ursprünglichen Größe eingebüßt hatte, wie diese viel zu dick geschälten Kartoffeln, richtete er dennoch einen beträchtlichen Schaden an dem steinernen Bassin an. Immerhin nicht an dem im Bau befindlichen Oval einer modernen Villa, und verletzte somit auch keinen der Arbeiter, die dort während des Impacts tätig waren.

Eine Pointe bestand sicherlich darin, dass der Wert dieses Steins noch einiges über dem des Pools lag. Dennoch weigerte sich die Versicherung, für den Schaden aufzukommen. So oder so musste der Pool rundum erneuert werden, wobei der Architekt der Villa dies übernahm und ein Bassin schuf, das die Fassade des Ovals widerspiegelte, so wie diese das benachbarte Baudenkmal zitierte. Der erkaltete Meteorit selbst gelangte schließlich unter einen Glassturz und mitten in Oswalds Kunstsammlung. Was jemanden einmal zu der Bemerkung verführte, dies sei so, als würde man in eine Anhäufung von Computermäusen auch eine richtige, natürliche Maus setzen.

Das Leben von Ashok Oswald gerät aus den Fugen

Seine in Reichtum eingebettetes Leben wird von einem brutalen Trio – zwei Männer und eine besonders gewaltbereite Frau – ins Wanken gebracht. Sie fordern mit unverhohlener Drohgebärde die Herausgabe eines Manuskripts. Dieses literarische Dokument war Oswald 40 Jahre zuvor von einer flüchtigen Bekanntschaft, dem Schriftsteller Bischof, mit der eindringlichen Bitte anvertraut worden, es niemals zu lesen. Die Konfrontation mit diesen finsteren Gestalten wirkt als Katalysator für eine radikale Neuorientierung seines Lebens. Er kommt also der nachdrücklichen Bitte nach, rückt die Tasche mit dem Buch heraus und macht sich dann auf die Suche nach dem Autor des geheimnisvollen Textes. Bischof, angeblich verstorben, lebt in Wirklichkeit aber nach fingiertem Tod mit einer neuen Identität in Irland, als außergewöhnlicher Radioreporter für den irischen Nationalsport Hurling.

„Als hätte Gott mit leicht geöffneten Lippen den Ball durch die Luft geblasen“

Bevor sich unser Held auf die Reise macht, tritt er von all seinen Funktionen und Ämtern in seinem Firmenimperium zurück. Ein totaler Reset.

Wirklichkeit ist mit Fiktion intelligent verknüpft

Seine Suche nach dem einstigen Autor führt ihn somit nach Irland. Immer stärker rückt das Manuskript in den Fokus: Es scheint mehr als nur ein Text zu sein, eine Art prophetisches oder manipulierendes Werk, das die Wirklichkeit beeinflusst.

Was unserem Helden auf der Suche nach ihm alles zustößt, wird urkomisch beschrieben. Ashok Oswald, der sich in den vergangenen Jahren eher mit aufgehaltenen Autotüren in Wagen von extremer Geräumigkeit bewegte, benutzt nun völlig ungeübt öffentliche Verkehrsmittel. Er hat skurriele Begegnungen mit einem bulgarischen Busfahrer, der nicht auf der vorgegebenen Busroute bleibt, landet schließlich bei der mazedonischen Verwandtschaft des Busfahrers auf einer Insel.

Wie nebenbei, leichthändig, werden Themen wie Macht, das Verhältnis zwischen öffentlichem Erfolg und privatem Leben und die Bedeutung von Literatur behandelt (die auch tödlich sein kann, wie Steinfest „nachweist“). Er bettet er ethische Fragestellungen elegant in den Fluss seiner Erzählung ein.

Wie die Wirklichkeit mit der Fiktion verknüpft ist und beide sich gegenseitig beeinflussen, sei an dieser Stelle nicht verraten. Doch selbst wenn, der Roman an sich ist ein Lesevergnügen vom Anfang bis zum Ende.

Das schwarze Manuskript
Roman
340 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Piper, Preis 23,00 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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