Lena Schätte hat mit Das Schwarz an den Händen meines Vaters einen Roman geschrieben, der autofiktionale Züge trägt. Damit folgt sie einem in den letzten Jahren populär gewordenen Trend. Spätestens seit die 1940 in Frankreich geborene Annie Ernaux vor drei Jahren den Literaturnobelpreis für ihr autofiktionales Werk erhielt. Häufig schreiben Autoren über ihre disfunktionale Familien, vorzugsweise aus sozial schwierigen Kreisen. Das Schreiben wird zum Akt der Selbstbehauptung und als Widerstand gegen das Schweigen als Mittel der Erinnerung, als Form der Wahrheit. Das ist bei Lena Schätte nicht anders.
Lena Schättes Debutroman spielte im Ruhrgebiet
Lena Schätte debütierte 2014 mit dem Roman Ruhrpottliebe. In den Folgejahren arbeitete sie als Krankenschwester in der Psychiatrie im Ruhrgebiet, bis sie 2020 ein Studium des literarischen Schreibens am Deutschen Literaturinstitut Leipzig aufnahm. Heute betreut sie suchtkranke Menschen in Lüdenscheid. Veröffentlichte sie ihren Debütroman noch bei einem kleinen Verlag, so erschien ihr aktueller Roman im S. Fischer Verlag, wurde von diesem für den Deutschen Buchpreis eingereicht und schaffte es auf die Longlist.
Allgegenwärtig: Der Alkohol
Im Mittelpunkt von Lena Schättes Roman, quasi als „Schattenfigur“, steht der Alkohol. Die Ich-Erzählerin Motte hat ein besonderes Verhältnis zum Vater, sie ist Papas Liebling. Sie hat noch einen wenig älteren Bruder und eine viele Jahre ältere Schwester, die schon ausgezogen ist, als Motte aus ihrem Leben erzählt. Dabei springt Lena Schätte in dem 190 Seiten langen, dicht erzählten Roman zwischen der Kindheit, der Zeit als Jugendliche und als junge Erwachsene von Kapitel zu Kapitel hin und her. Die Kapitel sind extrem kurz, meistens nur zwei, drei Seiten umfassend. Erst im letzten Drittel des Romans verlässt Lena Schätte die Kindheit, Motte erzählt von sich als junge Erwachsende. Der Erzählfluss wird ruhiger.
Eine Jugend in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets
Motte wächst in den Neunzigerjahren am Rande des Ruhrgebiets im nördlichen Sauerland in einer nicht näher genannten kleinen Arbeiterstadt auf. Das Schwarz an den Händen des Vaters kommt von harter körperlicher Arbeit. Es ist das Schwarz eines Jobs in der eisenverarbeitenden Industrie. Der Vater schrubbt es sich nach der Arbeit von den Händen, bis er das nicht mehr muss, weil er zu viel trinkt und seinen Job verliert. Wie Mottes Vater ergeht es vielen Vätern in dieser Zeit in dieser Region. Ihre Großmutter erklärt ihr, dass die Männer früh sterben. Die Frauen seien zäh und überleben ihre Männer (die Großmutter zwei). Es scheint ein unausweichliches Schicksal zu sein, dem man sich eben fügen muss. Auf den Familienfotos sehen Mottes Vorfahren „ausgemergelt, erschöpft und betrunken aus“.
Die Mutter lehrt die wichtigen Dinge in dieser Familie
Die Mutter bringt den Kindern die wichtigen Dinge des Lebens bei. Zum Beispiel: „Dass Männer, die Bier trinken, harmlos sind“ – weil es eben der Schnaps ist, der Ärger bedeutet. Oder „dass alles in Ordnung ist, solange sie nur am Wochenende trinken“. Und schon da, auf der ersten Seite von Lena Schättes Roman Das Schwarz an den Händen meines Vaters weiß man, dass die Lehren der Mutter Quatsch sind, weil nach dem Bier eben doch irgendwann der Schnaps kommt und es beim Wochenende nicht bleibt. Lena Schätte erzählt von einer Vater-Tochter-Beziehung, die ständig an der Sucht zu zerbrechen droht. Auch Motte wird zu einer Alkoholikerin und folgt damit dem Weg ihres Vaters. Nicht so ihr Bruder und auch nicht ihre Schwester.
Keine leichte Lektüre
Man folgt der Schilderung Mottes nicht unbedingt gerne. Zu sehr steht das aufgrund des Alkoholismus in der Familie zerrüttete Leben dem Leser klar vor Augen. Schonungslos, in kurzen Sätzen, ohne Schnörkel, ohne schmückende Adjektive wird dieser Kreislauf der Sucht beschrieben. Der Grad zwischen einem Bier zu viel, das viele kennen, und dem Hinabgleiten in die absolute Abhängigkeit ist schmal und so mancher Leser läuft an dieser Kante entlang, was die Umfragen zur Alkoholsucht klar darlegen:
8,6 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland gaben an, in den letzten 30 Tagen Alkohol in riskanten Mengen konsumiert zu haben. 9,5 Millionen Personen konsumierten fünf oder mehr alkoholische Getränke an mindestens einem der letzten 30 Tage (Episodisches Rauschtrinken).
Es muss nicht diesen Trinkern so gehen, wie es Mottes Vater in dem Roman ergeht. Aber die Autorin zeigt den Weg dorthin klar auf. Viele Erfahren aus ihrem Beruf in der Suchtbetreuung sind sicher ebenso in den Roman eingeflossen wie ihre eigene Familiengeschichte. Damit ist der Roman Das Schwarz an den Händen meines Vaters kein Roman, der zum Eskapismus verleitet.
Das Schwarz an den Händen meines Vaters
Roman
192 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag S. Fischer, Preis: 24,00 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens
Lena Schätte ist von Oktober bis Dezember 2025 Stipendiatin des Stuttgarter Schriftstellerhauses. Sie stellt sich und ihre Arbeit am 3. November 2025 um 19 Uhr im Schriftstellerhaus vor.
