Elsternest

Neil Young tötet?

Neil Young und Navid Kermani durch Ludwig Blochberger auf die Bühne gebracht

Navid Kermani veröffentlichte im August 2013 Das Buch der von Neil Young Getöteten. Darin beschreibt er, wie sich seine neugeborene Tochter mit Dreimonatskoliken plagt. Das einzige wirksame Gegenmittel: die Songs von Neil Young. Für Vater und Tochter beginnt eine Reise durch den Kosmos des kanadischen Musikers hin zu den verlorenen Illusionen und flüchtigen Augenblicken des Glücks. Mit leichter Hand verwebt Navid Kermani den Alltag einer jungen Familie mit den großen Lebensfragen, und wie nebenbei wird klar, wo noch Splitter vom Paradies zu finden wären: nicht nur in der Musik.

Eine gelungene Performance

Der Schauspieler Ludwig Blochberger hat daraus eine Performance aus Lesung und Musik gemacht. Ludwig Blochberger, selber Fan der Musik von Neil Young, spielt dessen Songs seit seiner Jugend auf der Gitarre. Und so ist er an diesem Abend des 17. Oktober 2024, trotz einer aufziehenden Erkältung, ein perfekter Interpret der Songs von Neil Young, die dieser in den letzten vier Dekaden komponiert hat. Er ist nicht nur in der Lage, die Stimme von Neil Young perfekt zu imitieren, auch sein Gitarrenspiel kopiert er kongenial. Mit zwei akustischen Westerngitarren und einer Sammlung verschiedener Mundharmonikas versteht er es, die Illusion zu erzeugen, Neil Young stände auf der Bühne des Stuttgarter Theaterhauses.

The Last Trip to Tulsa vom ersten Soloalbum (Neil Young, 1968) beruhigt die Tochter besonders, so dass es eine herausragende Stellung bei der „Behandlung“ einnimmt. Interessant, dass kein Geringerer als Ry Cooder auf dieser Platte Gitarre spielte. Bei seiner Veröffentlichung war dieses Album ein Flop. Es blieb das einzige Neil-Young-Album ohne Charterfolg. Die ausgekoppelte Single The Loner verfehlte die Billboard Hot 100. Aber für David Kermanis Tochter was es die Erlösung von ihren Koliken.

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies

In ausgesuchten Buchpassagen liest Ludwig Blochberger vom Paradies, das Neil Young immer wieder in seinen Songs besingt. Das Paradies ist für Neil Young vor allem bei den indigenen Völkern Nordamerikas zu finden. In dem Song Pocahontas (wunderbar die Fassung auf der Platte Unplugged  von 1993) drückt er das eindrücklich aus, wobei der Erzähler mit dem Wort „uns“ in der Zeile They killed us in our teepee mitten im Geschehen zu sein scheint. Er erzählt von Gewalt und Verlust, mit Hinweisen auf die Ermordung der amerikanischen Ureinwohner in ihren Tipis und die Verwüstung durch die Ankunft der weißen Siedler. Die Gewehre und Wagen stehen für die zerstörerischen Kräfte, die die Kolonisatoren mitbrachten, während die untergehende Sonne auf das Ende einer Lebensweise anspielt. All das scheint das kleine Wesen auf dem Arm von Navid Kermani nicht im mindesten zu stören. Es schläft. „Endlich!“, denkt der junge Vater.

Es gibt eine ganze Liste von Neil Young Songs, die Kermanis Tochter schätzt

Eine andere der großen Balladen Youngs, steht auch auf der „Heils-Liste“ seiner Tochter: Cortes The Killer. Ein düsteres Epos über die Menschheit, das langsam und rumpelnd, begleitet von Neil Youngs Hausband Crazy Horses, mit drei Minuten akustisch hartem Rock beginnt, bis die ersten Lyrics ertönen. Erzählt wird die Geschichte von Hernán Cortés, dem spanischen Konquistador, der mithilfe seiner indianischen Verbündeten das Aztekenreich eroberte. Diese Ballade von Vertreibung und Völkermord im Namen der spanischen Krone war in Spanien lange verboten.

Er kam über das Wasser getanzt *
Mit seinen Galeonen und Kanonen
Auf der Suche nach der neuen Welt
Und diesem Palast in der Sonne.

Am Ufer lag Montezuma
Mit seinen Kokablättern und Perlen.
In seinen Hallen wanderte er oft
Mit den Geheimnissen der Welten.

Und seine Untertanen scharten sich um ihn
Wie die Blätter um einen Baum
In ihren Gewändern in bunten Farben,
Auf dass die zornigen Götter sie sähen.

Und all die Frauen waren wunderschön,
Und die Männer standen aufrecht und stark.
Sie brachten Menschenopfer,
Damit andere weiterleben konnten.

Hass war nur eine Legende,
Und Krieg war nie bekannt.
Die Menschen arbeiteten zusammen,
Und sie förderten viele Steine.

Und trugen sie ins Flachland,
Doch sie starben entlang des Weges.
Und sie bauten auf mit bloßen Händen,
Was wir heute noch nicht können.

Und ich weiß, dass sie dort lebt,
Und sie liebt mich bis heute.
Ich kann mich immer noch nicht erinnern, wann
Oder wie ich mich verirrte.

Er kam über das Wasser getanzt,
Cortez, Cortez –
Was für ein Mörder!

* Link verweist auf das Original auf der Platte Zuma von 1973

Als die Lesung schon vorbei ist, kommt Ludwig Blochberger nach langanhaltendem Applaus noch einmal auf die Bühne und spielt einige Zugaben. Unter anderem auch Rockin’ in the Free World. Dabei geht er leicht gebückt über die Bühne und es scheint, als verwandelt er sich in sein großes Idol:

Vom Trailer hier nur der Song Rockin’ in the Free World
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3 Kommentare

  1. „Hass war nur eine Legende, und Krieg war nie bekannt“ wie wunderbar müsste das sein! War bestimmt eine herausragende Performance. Und Neil Young hab ich vor Urzeiten auch life erlebt.
    Schade, dass ich nicht dabei sein konnte.

    1. Oh, da werde ich ganz neidisch. Neil Young, obwohl einer meiner liebsten Songwriter, habe ich noch nie gesehen.
      Wenn Ludwig Blochberger wieder im Theaterhaus spielt, sage ich dir Bescheid. (Voraussichtlich im kommenden Jahr.) Versprochen.

  2. Nur das als Ergänzung zu „Cortes The Killer“ aus dem entsprechenden Text bei Wikipedia: „Youngs Notizen für das Album Decade zufolge war das Lied IN SPANIEN UNTER (dem Diktator) FRANCISCO FRANCO verboten.“ (Hervorhebung und Ergänzung von mir)

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