Elsternest

Szczepan Twardoch beim 2. Stuttgarter Literaturfestival

Szczepan Twardoch beim Literaturfestival Stuttgart

Szczepan Twardoch ist in Polen kein Unbekannter. Und auch in Stuttgart war er schon zu Gast mit seinem Roman Der Boxer. Am Mittwoch hielt er eine Rede zur Eröffnung des 2. Stuttgarter Literaturfestivals, das unter dem Motto [ÜBER]Leben steht. Wer könnte das überzeugender an diesem Abend des 14. Mai 2025 dem Publikum näher bringen als Szczepan Twardoch, der sich auf die „Nulllinie“ an der ukrainischen Kriegsfront begeben hat. Von hier aus werden die Drohnen gesteuert, die die russischen Angreifer vertreiben sollen.

In die Hölle des Krieges gegangen

Mit ukrainischen Soldaten hat Szczepan Twardoch die Hölle des Kriegs erlebt. Mehrfach ist er mit Hilfsgütern in das Nachbarland an die Front im Donbass gefahren, hat sich unter Lebensgefahr in Schützengräben versteckt und mit ukrainischen Soldaten gesprochen. Szczepan Twardoch ist ein Reporter der besonderen Art. Seine Erlebnisse hat er in seinem neuen Roman Nulllinie verarbeitet. Am Eröffnungsabend gibt er dem Festivalpublikum einen detaillierten Bericht über die moderne Kriegsführung, die so gar nichts mehr mit der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun hat.

Moderne Waffensysteme, Drohnen, Stellungskrieg

Detailwissen über Waffensysteme, insbesondere Drohnen, über Stellungskrieg, das grausame Ausharren in Unterständen, Erdlöchern und nassen Gräben, all das breitet er in seiner Rede aus und durchdringt psychologisch die beteiligten Kämpfer. Damit wagt er sich weit über jede herkömmliche Festrede hinaus, verlangt von seinem Publikum, sich an diesem lauen Frühlingsabend mit den Realitäten des Krieges auseinander zu setzen. Seine Rede ist weit entfernt vom propagandistischen Kriegsgeschrei. In der Ukraine hat er Tarnuniform und schusssichere Weste getragen. Heute steht er wieder, wie man ihn kennt, in elegantem Anzug am Rednerpult. Leise hält er seine Rede in polnischer Sprache. Über die Lautsprecher ertönt die Stimme des Übersetztes seines Werkes, Olaf Kühl, simultan.

Nino Haratischwili kuratiert das Festival

Nino Haratischwili

Die georgisch-deutsche Theaterregisseurin, Dramatikerin und Romanautorin Nino Haratischwili, Kuratorin des zweiten Literaturfestival Stuttgarts, redet an diesem Abend ebenfalls über Gewalt, Leid und Katastrophen und wie sie Welten zerstören können. Aber Literatur kann Welten auch erschaffen, so ihre zuversichtliche Botschaft. Neben dem Schrecken, den erzählende Literatur nie auslässt, erzählt sie von Schönheit, von Liebe, Freundschaft und Zuversicht. In diesem Sinn lädt das Literaturfestival Stuttgart ein, in Texte zu tauchen, die Welt zu durchmessen und [ÜBER]Leben zu sprechen. Dabei werden uns – wie an diesem Abend – Wahrheiten durchaus zugemutet. Und doch gilt es, das Leben zu feiern. Das Festival soll uns an all das erinnern, was Leben so berauschend wertvoll macht.

Literatur kann auch ein Fest der Sinne sein

Julia B. Nowikowa mit Stefanie Stegmann, Leiterin des Literaturhauses Stuttgart
Stefanie Stegmann, Leiterin des Literaturhauses Stuttgart, stellt die Künstlerin Julia B. Nowikowa und ihre Werke vor

Die Sinne werden schon an diesem Abend nicht nur durch kühlen Wein angeregt sondern vor allem durch die Zeichnungen, Skizzen und Kollagen der Künstlerin Julia B. Nowikowa, die diese in einer begleitenden Ausstellung im Literaturhaus präsentiert. Texte der Autorinnen und Autoren hat sie in begehbare Buchseiten verwandelt, ihre Zeichnungen auf transparentem, großflächigem Papier über die Werke der beteiligten Literaten gebracht. Gesichter, Torsi, Schmetterlinge: Visionen hängen in langen Fahnen an den Wänden. Damit führt sie Literatur und grafische Umsetzung vorgegebener Inhalte phantasievoll zusammen, erschafft eine lebendige Kunstwelt.

Das Literaturfestival Stuttgart findet in der Zeit vom 14. – 24. Mai 2025 an unterschiedlichen Orten in Stuttgart statt (ausführliches Programm hier). Beteiligt sind 52 Autorinnen und Autoren aus 18 Ländern. Ein kreatives und buntes Festivalprogramm für ein junges Publikum wird – kuratiert von der Autorin Chantal‐Fleur Sandjon – in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Stuttgart umgesetzt.

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