Björn Hayer legt in seinem schmalen Roman Winklers letzter Feldzug den Finger auf die Wunde der Massentierhaltung. Der ehemalige Lokaljournalist Winkler mag sich nicht mehr damit abfinden, dass der Mensch Tiere quält, nur um an ihr Fleisch, an ihre Milch und bei den Hühnen an die Eier zu gelangen. Obwohl es kaum einen gibt, der die schrecklichen Qualen dieser Kreaturen nicht kennt, hat es an der industriellen Tiertötung und oft qualvollen Massentierhaltung bis heute nichts geändert.
Aktionen von Tierschützern lassen den Rentner Winkler eine Entscheidung treffen
Winkler ist noch nicht lange in Rente, noch hat er seine Alltagsroutinen aus seinem Job nicht abgelegt, da kommt er in Kontakt mit Tierschützern, die auf das Leid der Tiere aufmerksam machen und sich mit Masken kleiden. Vor sich halten sie Monitore:
Winkler trat näher vor einen der stummen Aktivisten und erschrak über die Bilder, sie sich ihm schon ungewollt ins Gedächtnis eingebrannt hatten. Er sah wieder Tiere und Blut, Messer, enge Gänge mit schreienden Schweinen, Darunter erschien der Schriftzug „Vergasung“.
Winkler wird drastisch mit dem Leid der Tiere konfrontiert. Gleichzeit leidet er selber: es ist Krebs bei ihm diagnostiziert worden, er hat noch eine Lebenserwartung von etwa sechs Monaten, dann wird der der Krebs ihn „aufgefressen“ haben. Konfrontiert mit seinem eigenem Leiden nimmt er den Kampf gegen das Leiden der Tiere auf.
Was die Monate der inneren Zerrüttung, der Verzweiflung und des schlussendlichen Aufbegehrens in Winkler beförderte, war die Einsicht in ein totales Systemversagen, eine über Jahrhunderte gewachsene Diktatur des Humanen. Im Rechtsstaat kamen Tiere abseits eines laschen Tierschutzgesetztes, das Töten aus „vernünftigen Gründen“ (was sind vernünftige Gründe für eine Schlachtung, Hinrichtung etc.?) erlaubt nicht vor. Für ihren Tod gab es keine Worte.
Von der Schusswaffe wird Gebrauch gemacht
Aus dem ruhigen Demokraten wird im Laufe des Romans ein Gewalttäter, der nur noch im bewaffneten Feldzug die Möglichkeit sieht, das Leid der Tiere zu verhindern. Er dringt in einen Schlachthof ein, um gequälten Kreaturen zu befreien. Dabei macht er von seiner Pistole Gebrauch, um den Standortchef des Schlachtkonzerns durch einen gezielten Schuss ins Knie zu eliminieren. Danach zündet er Molotowcocktails und befreit eine Ladung Schweine.
Auf seiner Flucht trifft er einen Gefährten, Mo. Der ist auf einem Rachefeldzug gegen Jäger. Und Winkler tut sich mit ihm zusammen. Gemeinsam massakrieren sie eine Jagdgesellschaft…
In unserer Gesellschaft herrscht Gewalt und sie radikalisiert
Der Roman stellt die Frage, wie man sich überhaupt all diese in dieser Gesellschaft vorhandene Gewalt erklären kann. Und wie kann man erklären, dass Menschen, die ein ganz normales Leben geführt haben sich radikalisieren: als Islamisten, Rechtsterroristen oder Verschwörungstheoretiker, die sich in Potsdam treffen und das dritte Reich wieder aufleben lassen wollen. Was macht es mit den Menschen, wenn sie sich in Echokammern begeben und in den Medien ihren Zorn hinaus kotzen.
Außergewöhnlich ist an diesem Roman nicht nur das Konzept, sondern auch die Form: Der Text hat eine unorthodoxe Ästhetik. Er arbeitet mit ungewöhnlichen typografischen Aspekten. Mitten in die Sätze werden Punkte gesetzt, Sätze werden förmlich zerschossen. Das ist formal eine Ästhetik der Gewalt. So wie Bolzenschussgeräte an Tieren angesetzt werden oder wie mit Waffen auf der Jagd operiert wird, so nutzt der Autor seine Sprache, in der sich Brutalität bemerkbar macht. Im späteren Teil des Textes durchtrennen Punkte wie Sägeblätter die Sätze, wodurch assoziativ das Feld der Schlachtung aufgerufen wird.
Björn Hayer zeigt, wie sein Protagonist durchdreht und an der Welt verzweifelt. Ein ganz normaler Mensch wählt aus völliger Verzweiflung eine Form, die nicht angebracht ist. Man rennt förmlich auf den letzten Seiten mit Winkler vor seinen Verfolgern davon. Das Ende ist unausweichlich. Spannend und mitreißend erzählt, immer nah an der Gedankenwelt des Protagonisten, wird der Leser mit in die gewalttätige Abwärtsspirale des Protagonisten gerissen. Mit den grundlegenden Fragen unserer Zeit muss der Leser sich allein weiter konfrontieren. Das Buch gibt einen Anstoß dazu.
Winklers letzter Feldzug
Roman, 140 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen
Gans Verlag, Preis: 22,00 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens
„Winklers …“ ist sicher ein sehr interessantes, ungewöhnliches Buch.
Nicht nur das Buch ist ungewöhnlich sondern auch sein Autor, denn Dr. Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet als Literatur- und Theaterkritiker sowie Autor und Essayist. Er ist auch als Privatdozent an der Universität Koblenz-Landau tätig. Dass er neben all seiner journalistischen Arbeit noch einen so klugen Roman schreiben konnte, ist schon bewundernswert.