In der Reihe „Vita contemplativa“ läd der Hospitalhof regelmäßig ein zu einer Begegnung mit berühmten Texten, Meditationen und geistlichen Übungen. Am 6. November 2018 hielt Gerhard Breidenstein im Rahmen dieser Reihe einen Vortrag zum Thema „Spiritualität ohne Religion?“
Gerhard Breidenstein hat evangelische Theologie studiert und promovierte in Sozialethik. Zeit seines Lebens (er ist Jahrgang 1936) hat er sich politisch engagiert: Als Studentenpfarrer in Dortmund, in der Umwelt- und Anti AKW-Bewegung, in der Friedensbewegung. In einer schweren Lebenskrise hat er sich auf frühe Meditationserfahrungen besonnen und hat erneut den Zen-Weg beschritten. Seit dreißig Jahren folgt er diesem und hat darüber auch ein sehr persönliches Buch geschrieben. (Siehe Besprechung auf diesem Blog.)
Mystische Spiritualität ist Weltzuwendung
In seiner letzten Publikation „Brennende Kerze im Sturm“ nimmt er die mystische Spiritualität in den Blick. Sie bedeutet für ihn Weltzuwendung bis in den persönlichen Alltag und in die globale Situation hinein. Er zitiert aus dem Gedicht Es gibt so wunderweiße Nächte von Rilke. Dort schreibt Rilke:
… und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.
Diesem kapellenlosen Glauben redet Gerhard Breidenstein das Wort. Die Säkularisierung als Teil der Aufklärung hat ihren Anteil daran, dass die Menschen sich von den Kirchen abgewendet haben.
In der modernen Welt stehen materiellen Dinge an erster Stelle. Trotz dieses modernen Materialismus sind sehr viele Menschen auf der Suche nach Spiritualität. Allerdings profitieren die großen christlichen Kirchen nicht davon. Er kann gut nachvollziehen, dass die von den Kirchen gelehrten Glaubensinhalte nicht mehr von den Menschen verstanden werden. Auch er kann das 1700 Jahre alte Glaubensbekenntnis nicht mehr sprechen. Es drückt nicht seine Erfahrungen aus und vor allem ist es nicht in seiner Sprache verfasst. Er verweist auf den Theologen Jörg Zink und die Theologin Dorothea Sölle, denen es gelungen ist, den christlichen Glauben in moderner Sprach zu vermitteln. Für ihn ist es kein Zufall, dass Dorothea Sölle sich in einem ihrer letzten großen Werke der Mystik zugewendet hat. Mystische Spiritualität verlangt nicht, Dogmen zu glauben. Es geht vielmehr um unmittelbare Erfahrungen.
Moderne physikalische Modelle und Spiritualität stehen nicht im Widerspruch
Auch die moderne Physik, die geprägt ist von Max Planck, Einstein und Heisenberg, hat das duale, alte Weltbild nachhaltig infrage gestellt. Wie die moderne Physik kennt ein mystisches Weltbild nur eine Wirklichkeit. Es gibt keine Trennung zwischen Oben und Unten, Göttlichem und Menschlichen, zwischen Geist und Materie. Alles ist mit allem verbunden. Das Weltbild der Mystik ist nichtdual. Und der mystische Mensch erfährt die Nondualität der Wirklichkeit.
Mystik in den verschiedenen Religionen
In allen Weltreligionen gibt es mystische Ausprägungen: Im Christentum vertraten das z. B. Meister Eckhart, Hildegard von Bingen oder Teresa von Ávila. Die Sufis vertreten die Mystik im Islam, Zen ist die mystische Ausprägung im Buddhismus und im Judentum vertreten die Kabbalisten den mystischen Zweig.
In den monotheistischen Religionen (Christentum, Judentum und Islam) ist die mystische Erfahrung als Gotteserfahrung bzw. Glaubenserfahrung auf die göttliche Wirklichkeit bezogen.
Nichttheistische Traditionen wie Buddhismus, Jainismus und Daoismus bringen mystische Erfahrungen zum Ausdruck, ohne sich auf eine göttliche Person oder Wesenheit zu beziehen. Auch Vertreter des Hinduismus berichten von mystischen Erlebnissen.
Glauben in transreligiöser Sprache
Wie kann nun Glauben in transreligiöser Sprache ausgedrückt werden? Diese Frage gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Abend anhand eines von Gerhard Breidenstein verfassten Thesenpapiers erst in stiller Zurückgezogenheit nach, um sich im Anschluss daran im Gespräch darüber auszutauschen. Teils wurde den Ansichten des Referenten heftig widersprochen und auf die christliche Offenbarung verwiesen. Aber auch der Bezug auf die Theorien der modernen Physik wurde hergestellt. Einigend war der Gedanke, dass die Welt Kraft materieller und geistiger Evolution lebensfreundlicher werden kann und werden wird.
Wer sich mit den Thesen von Gerhard Breidenstein näher beschäftigen will, dem sei sein Buch empfohlen:
Brennende Kerze im Sturm
Mystische Spiritualität inmitten unsere Welt
144 Seiten, Taschenbuch
Verlag: Publik-Forum, Preis: 14,90 €
Zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens