Mit Der Gott der letzten Tage legte im Februar Sibylle Knauss einen neuen Roman vor. Es ist das zweite Buch, das der Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer von ihr publiziert. Der größte Teil ihres umfangreichen Romanwerks veröffentlichte der Hoffmann und Campe Verlag. Am 24. Februar 2017 stellte sie ihn in der Stadtbibliothek Ludwigsburg erstmals vor, siehe Bericht im Elsternest hier.
Der Roman von Sibylle Knauss hätte auch eine Novelle sein können
Sibylle Knauss ist ein Kind des Ruhrgebiets. Sie wurde 1944 in Unna geboren. Die Tatsache, dass sie neben Germanistik auch Theologie studierte und in ihrem Roman ein wichtiges theologisches Thema aufgreift, lässt aufhorchen. Ohne die früheren Werke der zuletzt als Professorin für Drehbuch-Dramaturgie an der Filmakademie in Ludwigsburg arbeitenden Autorin zu kennen, las ich dieses als Roman klassifizierte Buch. Warum der Verlag dieses Werk nicht unter dem Gattungsbegriff Novelle veröffentlichte, bleibt unklar, es hätte dem Buch besser zu Gesicht gestanden, berichtet es doch von einem ungewöhnlichen Ereignis und beleuchtet es schlaglichthaft: dem Sterben eines todkranken Pfarrers. Dieser bleibt namenlos im Gegensatz zu dem Gesprächspartner seiner letzten Tage: GOTT. Und da fängt das Dilemma des Plots an: Sibylle Knauss führt Gott als Antagonisten des an Maschinen angeschlossenen evangelischen Pfarrers ein. Wie vorteilhaft, dass beide mittels Gedankenübertragung miteinander kommunizieren können. Mit Menschen kann der Theologe aufgrund eines Luftröhrenschnitts, durch den er künstlich beatmet wird, nicht mehr reden. Sein Sohn liest einige Worte von seinen Lippen ab, ungleich umständlicher als das „Gespräch“ zwischen Gott und seinem Diener.
Sprache: gut – Theologie: mangelhaft
Die studierte Theologin Sibylle Knauss lässt Gott als einen personalen Gott auftreten und führt ihn ein, wie es gerne die pietistischen Gläubigen in Baden-Württemberg tun. Das mag ihr Leserinnen und Leser aus diesem Lager zuführen, einem theologisch interessierten Leser tut sie damit keinen Gefallen. Dieser Dialog zwischen Gott und dem Menschen macht das Buch in weiten Teilen zu einem Ärgernis, verfestigt es damit doch in der Theologie langst überwundene Gottesvorstellungen. Darüber hinaus kommt es häufig zu Widersprüchen, wenn der Allwissende sich als doch nicht so allwissend präsentiert. Als Leser hat man den Eindruck, einer Beichte beizuwohnen bei der das mündliche Eingeständnis einer schuldhaften Verfehlung des Pönitent während eines Gesprächs unter vier Augen mit einem Beichtvater erfolgt. Nur ist bei Sibylle Knauss der Beichtvater mit Gott gleichgesetzt. Es hätte mit einem anderen Gottesbild eine spannende Erzählung werden können, denn der Pfarrer ist keiner, der frei von Sünde ist, ganz im Gegenteil: Wut, Gewalt, Zigaretten sind seine ständigen Begleiter. Seine Frau verließ ihn mit drei Kindern, floh aus dieser gewalttätigen Ehe. Nur den schwererziehbaren Sohn ließ sie da. Hier ruft die Autorin das Bild des verloren Sohnes aus dem Lukasevangelium (15,11–32) auf. Des Pfarrers Hang zum Alkohol verschärfte so manchen Ehekonflikt. Und er kann die Finger nicht vom weiblichen Geschlecht lassen, das sich aufgrund seiner Stellung als geistliches Gemeindeoberhaupt mit gutem Draht zu Gott zu ihm hingezogen fühlt. Seine derzeitige Geliebte besucht ihn am Krankenbett, das seine Totenstätte werden wird. Aber bis er stirbt, hat er noch manchen Disput mit Gott zu führen.
Sybille Knauss lässt einen Pfarrer einen langen Dialog mit Gott führen
Bei Giovannino Guareschi hatten diese Dialoge zwischen dem Priester und Gott noch gut funktioniert. Wunderbar in den Filmen mit Fernandel umgesetzt. Nach „Kampfeinsätzen“ gegen seinen kommunistischen Bürgermeister, mit dem er durch die gemeinsame Vergangenheit in Partisaneneinheiten verbunden ist, redet Don Camillo zerknirscht mit Jesus am Kreuz. Dieser tadelt ihn ein ums andere Mal ob seines antikommunistischen Eifers. Das war mit leichter Hand und einem Augenzwinkern erzählt und hatte in den fünfziger Jahren seine Berechtigung. 60 Jahre später funktioniert das nicht mehr, zumal der Roman von Sibylle Knaus keinerlei Humor aufweist. Hier zeigt sich Gott als der über dem Menschen stehende Lenker seiner ihm anvertrauten Geschöpfe: „Glaubst du, ich hätte nur deine Schritte gelenkt? Und nicht auch seine? Und nicht Margarethes, als sie dich verließ und mit den drei Kindern zum Auto ging, das vor dem Pfarrhaus wartete, und dem Möbelwagen nachfuhr, der schon unterwegs war? Glaubst du das?“ (S. 59)
Dass es ein eitler Gott ist, lässt Sibylle Knauss auch noch durchscheinen: „Doch ich bediene mich gerne der menschlichen Sprache und lasse mich darin verehren und anbeten.“ (S. 62)
Vor großen Bildern schreckt die Autorin nicht zurück, so, wenn sie den heute erwachsenen Sohn, der ein schwer erziehbares Kind war, aus der Sicht des Pfarrers als einen beschreibt, der „ihn auf seinem Rücken nach Hause tragen (wird), wie Aeneas seinen Vater aus dem brennenden Troja getragen hat.“ (S. 65) Es scheint, als hätte die Autorin in den Schreibpausen den heldenverehrenden Hollywoodfilm „Ilias“ von Wolfgang Petersen mit dem Schönling Brad Pitt als Achill gesehen. An einer Stelle beschleicht den Leser der Gedanke, Sibylle Knauss würde ihrer eigenen Biografie zitieren: „Kaum zu fassen, dass man sie damals auf Schüler losgelassen hat. Sie ist die lausigste Theologin, die er kennt. Wenn sie je etwas vom Fach verstanden hat, dann hat sie es jedenfalls seither gut vergessen“ (S. 76).
Eine Seite weiter lässt sie eine Ahnung aufkommen, was für eine wuchtige Erzählung es hätte werden können, wenn sie schreibt: „Religion ist erotisch. Sie weckt unsere Sinne und Leidenschaften. Sie lockt uns an die Grenzen und darüber hinaus. Verführt uns mit Verheißungen. Versetzt die Seelen in Schwingungen.“ Hätte sie ihren Roman mit diesen Empfindungen grundiert und ihn nicht als persönlichen Dialog konzipiert, es hätte ein spannendes Werk werden können.
Der Gott der letzten Tage
Roman
184 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
Klöpfer & Meyer, Preis 20 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens