Heute vor 95 Jahren wurde Hanns Dieter Hüsch in Moers geboren und es lohnt, sich dieses Menschenfreundes zu erinnern. Er kam mit verkrüppelten Füßen zur Welt. Von seiner Mutter wurde er mit Liebe überschüttet. Seine Kindheit waren Jahre der Krankheit und der Sorge. Wegen einer vererbbaren Veranlagung zum Klumpfuß wurden seine verdrehten Füße mehrmals schmerzhaften Operationen unterzogen, was ihm den Kriegsdienst ersparte. „Mein Leben verdanke ich meinen Füßen“, kommentierte Hüsch in seinen 1990 veröffentlichten Erinnerungen.
Diese Mischung aus Schmerz und Liebe prägten seine kabarettistischen Texte: ein liebevoller und zärtlicher Blick auf das Leben der kleinen Leute. Zeit seines Lebens stand er auf ihrer Seite, auf der Seite der Ausgegrenzten. Einer meiner Lieblingstexte drückt das in vortrefflicher Art und Weise aus:
Ich sing für die Verrückten
Die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen
Und unbemerkt von allen
An ihrem Tisch in Küchen sitzen
Und keiner Weltanschauung nützen
Die tagelang durch Städte streifen
Und die Geschichte nicht begreifen
Die sich vom Kirchturm stürzen
Die Welt noch mit Gelächter würzen
Und für den Tod beizeiten
Sich selbst die Glocken läuten
Die an den Imbißtheken hängen,
sich weder vor- noch rückwärtsdrängen
Und still die Tagessuppe essen,
dann alles wieder schnell vergessen
Die mit den Zügen sich beeilen,
um nirgendwo zu lang zu weilen
Die jeden Abschied aus der Nähe kennen,
weil sie das Leben Abschied nennen
Die auf den Schiffen sich verdingen
und mit den Kindern Lieder singen
Die suchen und die niemals finden
und nachts vom Erdboden verschwinden
Die Wärter stehen schon bereit mit Jacken,
um werkgerecht die Irrenden zu packen
Die freundlich auf den Dächern springen
für diese Leute will ich singen
Die in den großen Wüsten sterben,
den Schädel schon in tausend Scherben
Der Sand verwischt bald alle Spuren,
das Nichts läuft schon auf vollen Touren
Die sich durchs rohe Dickicht schieben,
vom Wahnsinn wund und krank gerieben
Die durch den Urwald aller Seelen blicken,
den ganzen Schwindel auf dem Rücken
Ich sing für die Verrückten,
die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen
und unbemerkt von allen
Sich aus der Schöpfung schleichen,
weil Trost und Kraft nicht reichen
Und einfach die Geschichte überspringen
für diese Leute will ich singen
Nicht anschlussfähig an den linken Mainstream
Beim Festival auf der Burg Waldeck wurde er ausgebuht, weil er dem Publikum nicht radikal genug war. An die linke Kabarett und Liedermacherszene fand er danach keinen Anschluss mehr. Die Menschlichkeit und Wärme seiner Texte ist bis heute berührend. Nie wieder habe ich in der Kleinkunstszene jemanden mit dieser Zugewandtheit und Empathie erlebt.
Er sah seine Aufgabe darin, „die Ohren der Menschen zu schulen für Lügen, für falsche Töne und falsche Typen.“ Wie nötig hätten wir heute einen wie ihn.
Humorvoll und von tiefem Glauben geprägt
Sein tiefer Glaube hat ihm in schweren Zeit seiner Krebserkrankung geholfen. Er blieb optimistisch und humorvoll – auch im Umgang mit dem „lieben Gott“. „Ich habe mit ihm eine Verabredung“, sagte Hanns Dieter Hüsch im März 2000. „Und weil wir beide so wenig Zeit haben, haben wir gesagt, lass uns mal nichts fest machen. Wer kommt, der kommt.“ Am Nikolaustag 2005 ist er dann zu ihm gegangen.