Elsternest

Arno Geiger öffnet die Räume der Erinnerung

Arno Geiger, Moderatorin Barbara Staudinger, Historikerin Katrin Hammerstein und der Generalsekretär des Comité International de Mauthausen (v.l.n.r.)
Arno Geiger, Moderatorin Barbara Staudinger, Historikerin Katrin Hammerstein und der Generalsekretär des Comité International de Mauthausen (v.l.n.r.)

 

Am 18.09.2019 kam Arno Geiger darüber ins Gespräch mit Andreas Baumgartner vom Comité International de Mauthausen, ein in Österreich gelegenen KZ und mit der Historikerin Katrin Hammerstein. Der Ort der Diskussion der Diskussion war vom Schriftstellerhaus gut gewählt: Das Hotel Silber, im Faschismus die Gestapozentrale der Reichsteile Württemberg und Hohenzollern. Jahrelang hatten verschiedene Gruppen der Zivilgesellschaft darum gekämpft, hier ein Erinnungs- und Dokumentationszentrum zu gründen. Im Dezember 2018 wurde es endlich feierlich der Öffentlichkeit übergeben.

Souverän moderierte Barbara Staudinger die Diskussion. Sie hat als Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums in Augsburg Erfahrung im Umgang mit der Erinnungskultur. Arno Geiger ist kein Historiker, das betont er immer wieder in Interviews und Diskussionen, er schreibt fiktiver Literatur. Er schreibt seinen Roman nicht aus der retrospektivischen Perspektive. Seine Figuren in den Tagen des Jahres 1944 können nicht wissen, wie lange der Krieg dauert.

Unter der Drachenwand ein Antikriegsroman?

Durch die Hintertür wird der Text ein Kriegsroman. Doch es ging Arno Geiger nicht um die Beschreibung des Krieges. Er wollte zeigen, wie sich soziale Beziehungen vor dem Hintergrund des Krieges darstellen. Der Krieg zerstört das soziale Leben der Menschen, er dringt in die privatesten Winkel der menschlichen Beziehungen ein, als fein verästeltes System. Und weil der Roman auch ein Text über die Liebe ist, ist er ein Antikriegsroman.

Und daher ist die Frage, ob es sich bei dem Roman um einen typisch österreichischen Text handelt, für Arno Geiger nebensächlich.

Die Opfer waren in Wirklichkeit oft Täter

Lange Zeit sahen sich die Österreicher als Opfer. Die Täter kamen aus Deutschland, so deren Sichtweise. Doch viele Österreicher haben nach Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich die faschistische Diktatur aktiv unterstützt. Nach dem Krieg wurde das aber nicht in dem Maße aufgearbeitet, wie in Deutschland. Wiewohl auch in Westdeutschland die Beschäftigung mit einer Verzögerung von zwanzig Jahren einsetzte. Der Opfermythos der Österreicher bekam mit der Bewerbung und der Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten tiefe Risse.

„Irgendwer muss den Job ja machen“

Die Soldaten waren im Krieg sowohl Täter aber auch Opfer. Und als diese Soldaten nach Hause kamen, waren sie häufig tief traumatisiert, verkapselten ihre Erlebnisse und saßen als soziale Zombies in der Mitte ihrer Familien und ließen keine Fragen zu den eigenen Erlebnissen zu. Die Täterschaft wurde häufig mit dem Satz: „Irgendwer muss den Job ja machen“, bagatellisiert.

Die Zeitzeugen sterben aus

Andreas Baumgartner bringt den Aspekt in die Diskussion, dass es fast keine Zeitzeugen mehr gibt. Wenn die Zeitzeugen sterben, stirbt auch die Empathie. Hier setzten gute Texte an, denn die Geschichten können Empathie transportieren, wie Arno Geiger es mit seinem Roman aktuell beweist. Er macht es möglicht das Schicksal seiner Romanfiguren zu verstehen und für sie Empathie zu empfinden. Er vertraut seinen Lesern, dass sie clever genug sind, das Leiden der Romanfiguren zu erkennen und Konsequenzen für die Gegenwart daraus ziehen.

Für Arno Geiger gehören die Figur des jüdischen Nachbarn von Veit Kolbe, Oskar Meyer, unbedingt in den Roman, ja, es ist für ihn eine zentraler Aspekt, dessen Leiden darzustellen, obwohl er – ganz bewusst – nur „leicht an der Geschichte angebunden ist“.

Erinnerungskultur sollte an Menschen anknüpfen nicht an Zugehörigkeit

Die Erinnerungskultur sei dominiert von Linken und Juden. In den Letzten Jahren sind die Roma noch dazu gekommen. Die Politik „besetzte“ die Gedenkfeier zur Befreiung in Mauthausen. Was dabei völlig aus dem Blick gerät, sind die „Asozialen“, die ebenfalls von den Nazis interniert wurden. Die haben allerdings keine Lobby, auch heute noch nicht. Doch das Leiden war und ist universell: Kommunisten, Juden, „Geistesgestörte“. Andersdenkende und „Asoziale“ wurden in KZ weggesperrt. Und die, die zuschauen, machen sich schuldig, weil sie durch ihr Zuschauen Einfluss auf das Geschehen nehmen. Das sei im Theater so und auch im realen Leben.

Arno Geiger schließt für sich aus, auf einer der jährlichen großen Gedenkfeiern in Mauthausen zu sprechen. Nach seinem Selbstverständnis ist das nicht die Rolle des Schriftstellers.

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