Können Schriftsteller zu Stars werden? Wer am 22.02.18 in den Hospitalhof gegangen war und die Lesung von Daniel Kehlmann im ausverkauften großen Saal des Hauses miterlebt hat, muss diese Frage mit Ja beantworten. Mittlerweile sind einige Schriftsteller in der Lage, große Säle mit ihren Lesungen zu füllen. Dabei zeigt an diesem Abend Daniel Kehlmann, dass ihm Starallüren gänzlich fremd sind. Im Gespräch mit Zeit-Redakteur Ijoma Mangold glänzt der Autor mit seiner breiten Bildung und fundiertem Wissen um den Stoff, aus der er seinen neuen Roman Tyll geschaffen hat.
Dabei hätte der 1975 in München geborene und in Wien aufgewachsene Autor allen Grund, auf seine Erfolge stolz zu sein. Immerhin erzielte alleine sein Roman Die Vermessung der Welt eine Gesamtauflage von 6 Millionen Exemplaren. Aber auch vor diesem Erfolg aus dem Jahre 2005 war er schon ein etablierter Autor. Wie in seiner Vermessung der Welt greift er in seinem neuen Buch ein historisches Thema auf. Diesmal hat er einen Roman über den 30jährigen Krieg geschrieben. Seine titelgebende Figur ist an Till Eulenspiegel angelehnt, er benutzt bewusst die uns fremde Schreibweise mit y in Tyll, quasi als Rückgriff auf das Altertum dieses Spaßmachers. Er sagt, er hätte staunend erlebt, wie sich seine Figur beim Schreiben entwickelt hätte, sie ihm aber gleichzeitig rätselhaft geblieben sei. Das würde sich in der altertümlichen Schriftweise manifestieren, die er erst in der Endphase des Schreibens gewählt hat. Zudem versetzte er Tyll aus dem 14. Jahrhundert in die Zeit des grausamen Religionskrieges in Mitteleuropa.
Es ist eine Periode des Übergangs. Die alte Ordnung scheidet sich in mühevollem Prozess von der neuen Welt. Im Zauberkessel der Magie brodeln schon die Anfänge der modernen Wissenschaft. Der Jesuit Athanasius Kircher verkörpert beides als Inquisitor und Universalgelehrter. In einem grausamen Religionskrieg wendet sich die Botschaft der Liebe in eine des Hasses. Ein Klimawandel macht die Böden unfruchtbar. Es scheint die Zeit der Apokalypse sei angebrochen.
Tyll bleibt in vielen Kapiteln eine Nebenfigur, wie einer, der am Rande eines Gemäldes dargestellt ist. Tyll repräsentiert die dämonische Ebene. Er hat keine Angst vor den Mächtigen, in dessen Dienste er ist. Allerdings ist er einer, der auch keine Liebe empfinden kann.
In zwei Blöcken zwischen den Gesprächen mit Ijoma Mangold liest Daniel Kehlmann an diesem Abend aus einem der acht Kapitel in dem er das historische Unglücksrabenpaar, die englische Prinzessin Elisabeth Stuart und ihren Mann, den pfälzischen Kurgraf Friedrich V, auf den drall-pfiffigen Schweden-König Gustav Adolf in seinem Feldlager treffen lässt. Kurgraf Friedrich V wähnt sich Gustav Adolf ebenbürtig. Er, der sich in Prag zum König hat krönen lassen und dadurch erst das ganze Kriegsschlammassel ausgelöst hat. Der Schwedenkönig belehrt ihn eines Besseren.
Zum Schluss diskutieren Kehlmann und Mangold die Frage, ob es im 30jährigen Krieg wirklich um Religion ging und zogen Parallelen zum Kalten Krieg, in dem es auch um Ideologien ging aber doch vor allem um die Ausdehnung der Hegemonieräume. Ähnlich wie wir es heute in der islamischen Welt sehen, wo z. B. das arabische Königshaus islamische Terroristen unterstützt. Mit dieser Betrachtung schlagen Daniel Kehlmann und Ijoma Mangold den Bogen vom Barock zur Neuzeit.
Tyll
gebunden mit Schutzumschlag, 480 Seiten
Rowohlt-Verlag, Preis 22,95 €
Zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens