Elsternest

Yesterday – all my troubles seemed so far away

Was wäre, wenn es die Beatles nie gegeben hätte, bzw. sie aus dem Gedächtnis der Menschen getilgt wären? Bei allen Menschen? Nein! Einer hat noch Erinnerungen an sie: der erfolglose Singer/Songwriter Jack Malik (Himesh Patel), der seine Kompositionen grundsätzlich vor leeren Rängen und an allen Straßenecken zum Besten gibt!

Auf dieser Prämisse des Drehbuchautors Richard Curtis basiert der neue Film des britischen Regisseurs Danny Boyle (Trainspotting, Slumdog Millionär). Richard Curtis ist durch viele Drehbücher für komödiantische Filme bekannt geworden (u. a. Vier Hochzeiten und ein Todesfall, Notting Hill, die Bridget-Jones Filme) und prägt mit seinem Wortwitz auch diesen Film.

Die Prämisse ist schnell erzählt:

Bei einem zwölfsekündigem, weltweiten Stromausfall, dessen Umstände der Film zurecht nicht weiter thematisiert, wird Jack Malik (Himesh Patel) von einem Bus angefahren. Danach vermisst der sympathische Loser zwar zwei Schneidezähne, besitzt aber als fast einziger Mensch die Erinnerung an die vielleicht wichtigste Band aller Zeiten. Und als er beim Klimpern von „Yesterday“ merkt, dass seine Freunde den Song noch nie gehört haben, und die Google-Recherche bei den Stichworten „Beatles“ und „John Paul Georges Ringo“ nur Käfer und Päpste anzeigt, beginnt er zögerlich seiner „Karriere“ eine neue Chance zu geben und nimmt die alten Hits in sein Repertoire auf.

Sehr sorgfältig dekliniert der Film diese Entwicklung vom tastenden, unsicheren „Let It Be“ auf dem elterlichen Piano klimpernden Musiker über die ersten Achtungserfolge bei lokalen Auftritten bis hin zur Anfrage des Musikers Ed Sheeran, bei einem seiner Konzerte in Moskau (!) im Vorprogramm zu spielen. Der britische Weltstar Ed Sheeran spielt sich hier sanft und selbstironisch selbst. Den Ritterschlag erhält Jack Malik als er nach dem Konzert von Ed Sheeran Backstage zu einem Songschreiberwettbewerb aufgefordert wird: Beide sollen spontan einen Song komponieren, den sie noch nie gespielt haben. Nachdem Jack mit seinem Song diesen Wettbewerb gewonnen hat, erkennt Ed Sheeran, dass er nur ein Salieri neben Mozart ist und wünscht ihm viel Glück. Die aalglatte Managerin Debra (wunderbar von der Komikerin Kate McKinnon gespielt) dient sich dem aufgehenden Stern gleich an und führt ihn durch die Untiefen des Musikbusiness. Leichthändig nimmt der Film die Mechanismen der zeitgenössischen Musikindustrie aufs Korn, bleibt im Grunde aber stets bei der Frage, wohin geklauter Ruhm und unverdiente Ehren den Helden am Ende eigentlich führen sollen.

Die wunderbare Musik der Beatles

Die Musik der vier Musiker aus Liverpool trägt den gesamten Film, denn es ist eine enorme Lebensfreude in ihrer Musik, egal welchen Song man nimmt und die verzaubert damit die Zuschauer während des gesamten Films. Wie wichtig diese gemeinsame Lebensfreude trotz aller Streitigkeiten für die Beatles war, kann man in vielen Interviews nachlesen. Trotzdem steckt in den Songs stets auch eine gewisse, sehr britische Melancholie. Danny Boyle gelingt es, die Balance zwischen traurig und heiter den ganzen Film über zu halten. Und man fiebert mit dem aufstreben Star mit, wenn er vom Erfolg überrascht wird und dabei die in den Songs der Beatles so oft thematisierte Liebe aus den Augen verliert. Wieder sind es Looser und ein alter weiser Mann, die ihm die entscheidenden Hinweise zur Umkehr geben und das auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, als er das Wimmeltonstadion rockt und die Dollar förmlich greifbar werden (vor allem auch für seine diabolische Managerin).

Da wird auch ein Bild von vier kreischenden Mädchen eingeblendet, die den Beatles zujubeln. Und die Botschaft ist klar: Es waren diese kreischenden Mädchen, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Sie wurden in den Medien als hysterisch und verrückt verunglimpft. Aber sie waren es, die dafür gesorgt haben, dass die Menschen mit dieser Musik konfrontiert wurden, die die Gesellschaft für immer verändert hat: Die jungen Menschen ließen sich nicht mehr vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie haben sich geweigert, zur Armee zu gehen. Sie wollten nicht mehr die Jobs machen, die ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie strebten nach Glück, Liebe und Selbstverwirklichung. Und genau das tut dann auch der Protagonist des Filmes.

Was wünschen wir uns heute nach einem Stromausfall?

Der Regisseur Danny Boyle wurde gefragt, was er gern nach einem globalen Stromausfall aus dem Gedächtnis der Menschheit für immer löschen würde und er antworte darauf:

„Im Moment kann es auf diese Frage für mich nur eine Antwort geben. Wenn es etwas gibt, das die Mehrheit der Briten gern innerhalb von dreißig Sekunden ins Reich des Vergessens schicken würde, dann ist es der Brexit samt Nigel Farage und all den anderen Clowns, die für dieses politische Desaster verantwortlich sind.“

Vielleicht hilft es wirklich manchmal, wie Jack Malik in einer unerwartet drängenden Version, den Song »Help« zu spielen, der angesichts all dieser Probleme folgerichtig eine ganz neue Bedeutung erhält.

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