Elsternest

Bedrückende Lesung im Tiefbunker Feuerbach

Noch ist es nur ein Spiel
Noch ist es nur ein Spiel

Es ist ein klaustrophobisches Gefühl, das sich meiner bemächtigt, als ich die Stufen des Tiefbunkers hinunter steige. Es ist der 22. September 2019 und draußen scheint die Sonne. Hierher kommen sie nicht, der Bunker ist tief ins Erdreich gegraben, seine Wände sind 1,6m dick. Was mögen die Menschen vor 75 Jahren gefühlt haben, als die Deutschen im letzten Kriegsjahr vor den Bomben diese Räumlichkeiten aufsuchten? 2.000 – 2.500 Personen fanden während der Bombenangriffe der Alliierten in diesen Räumen Schutz, für mehrere Stunden mussten sie hier ausharren, bevor sie wieder ans Licht des Tages gehen konnten und ihnen die Auswirkungen der Bomben zu Gesicht kamen.

Im Eingangsbereich Spielzeug. Spielzeug, das propagandistisch auf den Krieg vorbereitete und den unerschütterlichen Glauben an den „Größten Feldherrn aller Zeiten“ den Kindern im Spiel einimpfen sollte. So mancher vierzehnjährige Bub hat die Realität des Krieges in den letzten Abwehrschlachten erfahren und feststellen müssen, wie groß der Abstand zu den lustigen Figuren der Soldaten und der verherrlichenden Darstellung des Führers ist.

Abstieg in den Bunker
Abstieg in den Bunker

Eindrücklich vermitteln Lilian Wilfart und Wolfgang Tischer durch ihre Lesung das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Krieges. Lilian Wilfart liest Textpassagen aus den Briefen der Mutter von Margot. Sie schreibt ihrer Tochter, die am Mondsee in Österreich mit ihrem Baby weilt, von den Auswirkungen der Bombardements auf Darmstadt. Gegen Ende der Briefe liegt ganz Darmstadt in Schutt und Asche. Ziviles Leben ist zum Erliegen gekommen.

Es wird in der Lesung aus dem Roman nicht erwähnt, ob sie die Bombennächte in einem Bunker verbracht hat, und wie groß dieser war. Der Bunker in Feuerbach konnte 2.000 (!) Menschen aufnehmen, es gab aber auch Angriffe, bei denen sich 2.500 Menschen im Bunker befanden. Eine, zwei, drei Stunden mussten die Menschen damals hinter den 1,6m dicken Wänden ausharren, bis das Signal der Sirene ertönte und sie wieder ans Tageslicht treten konnten. In Zeiten des Kalten Krieges wurde der Bunker für den Atomkrieg ausgerüstet. Da die Insassen bis zu 14 Tage hätten im Bunker verbringen müssen, wurde die Kapazität auf 1.200 Personen reduziert.

Bunkertüre mit Sirene
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Wolfgang Tischer liest im Wechsel aus den Aufzeichnungen des jüdischen Zahntechnikers Oskar Meyer. Dieser muss das Wiener Quartier, in dem er als Nachbar mit Veit Kolbe gewohnt hatte, verlassen. Er flüchtet mit seiner Frau Walli und seinem Sohn nach Budapest. Doch die Faschisten setzen ihm auch hier nach, das Leben wird härter, schlussendlich wird er in einem Arbeitslager in der Nähe des Mondsees eingesetzt und Veit Kolbe erkennt den völlig veränderten Oskar Meyer am Tuch von Walli: „Als der Mann (O. Meyer) meinen Blick bemerkte, schaute er einige Sekunden zurück mit bohrenden Augen und voller Vorwurf, dabei hielt er den Kopf trotzig hoch, als sei ihm der von dem Halstuch umschlungene Nacken erstarrt.“. Dieses hat Oskar Meyer als einziges Andenken an seine Frau retten können.

Als die Besucher dieser Veranstaltung des Schriftstellerhauses verlassen, hoffen wahrscheinlich alle, dass ihnen und ihren Angehörigen eine solche Erfahrung erspart bleiben wird.

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