Die Stuttgarter Kriminächte feiern ihr 10jähriges Bestehen. Schön, dass die Stuttgarter Autorin Christine Lehmann mit ihrem neuen Krimi eingeladen wurde. Sie las am 20. März 2019 aus ihrem brandneuen Roman Die zweite Welt in der kleinen, feinen Stadtteilbibliothek in Bad Cannstatt. Diese Stadtteilbibliothek in der Überkinger Straße war schon häufig Kooperationspartner der Stuttgarter Kriminächte.
Moderator und Autorin harmonieren
Der Theaterregisseur Stephan Raab vom Vorstand der Stuttgarter Kriminächte hält mit seiner Begeisterung für den Roman nicht hinter dem Berg, seine Moderation ist geprägt von großer Sympathie für die Autorin. Bescheiden tritt er auf und lässt somit das übliche Mann-Frau-Gefälle hinter sich. Sehr angebracht bei eine Autorin, die sich in Sachen Feminismus exzellent auskennt und ihrer Protagonistin Lisa Nerz einen explizit feministischen Background auf den Leib geschrieben hat und das nun schon in dreizehn Lisa-Nerz-Romanen. Christine Lehmann arbeitete jahrzehntelang als Nachrichten- und Aktuellredakteurin beim SWR. In ihrem neuen Roman bringt der Sender die Geschichte ins Rollen:
Aus dem Radio kommt schon in den Morgenstunden allerlei Wissenswertes zum Thema Feminismus. Was die Sender nicht ausstrahlen, sind die eingehenden Drohanrufe:
„Der Ehrenmann handelt. Schluss mit dem Feminazen-Terror. Ich will heute keine von euch Schlampen auf der Straße sehen“.
Das hat Sally mitgeschrieben, Lisa Nerz’ alte Freundin, die im SWR-Studio am Frauentag Telefondienst macht. Die Wortwahl gemahnt an die Propaganda der PGM, der Partei des gesunden Menschenverstandes, die sich gern über Einwanderung, Genderfragen, die Bedrohung der Familie und die Verkrüppelung der Muttersprache ereifert. Mit Unbehagen erinnert sich Lisa, von den Unfren gehört zu haben, „unfreiwillig enthaltsame“ Männer, die im Internet ihren Frust zelebrieren und sich in Frauenhass hineinsteigern.
Christine Lehmann nutzt die Tageszeiten als Strukturelement
Christine Lehmanns Protagonistin Lisa Nerz hat auch in diesem Roman wieder alle Hände voll zu tun. Der Roman spielt an nur einem Tag, am Weltfrauentag, 8. März. Diese zeitliche Begrenzung hat Christine Lehmann in ihren Roman als ordnendes Merkmal genutzt. Die Abschnitte sind mit den Tageszeiten überschrieben, teils im Minutentakt. Dadurch wird der Druck auf die Ermittlungen strukturell spürbar. Wer steckt hinter den Drohungen? Es ist ein typischer Whodunit-Krimi. Gemeinsam mit der technisch hoch versierten Schülerin Tuana, die bei ihr im Haus wohnt, klappert Lisa Nerz ihre Quellen ab, um Licht in die Sache zu bringen, ehe die Demo losgeht. Wobei die in Hidschab und Abaya gekleidet Tuana Lisa einen ungewohnten Blick auf die Straßenkommunikation verschafft und ihr mit ihren Internetkenntnissen entscheidend bei der Lösung des Falles hilft.
Rechtspopulismus und „Genderwahn“
Routiniert liest Christine Lehmann Ausschnitte aus verschieden Kapiteln. Man spürt, wie tief sie im Thema steckt. Die Autorin hat eigene Erfahrungen als Stadtverordnete der Grünen mit populistischen Positionen verarbeitet. Ihre „Kollegen“ von der AfD unterstützen die Demonstrationen gegen die Bildungspolitik der Landesregierung. Das Demo-Bündnis kämpfte gegen das Vorhaben von Grün-Rot, das Thema sexuelle Vielfalt durch den neuen Bildungsplan stärker im Schulunterricht zu verankern. Rassismus und Genderwahn werden immer wieder in die Redebeiträge der AfD-Abgeordneten im Stadtparlament und im Landtag eingerührt. Mit Hilfe des Kriminalromans taucht Christine Lehmann in dieses Universum der Rechtspopulisten ein.
Können Lisa Nerz und Tuana rechtzeitig herausfinden, wer wirklich hinter den Drohungen steckt? Das muss an diesem Abend offen bleiben. Erfahren kann es die Krimileserschaft, wenn sie sich den neuen Roman von Christine Lehmann kauft, vorzugsweise in einer der vielen lokalen Buchhandlungen.
Die zweite Welt
256 Seiten, Taschenbuch
Argument Verlag mit Ariadne, Preis 13,00 €