Elsternest

Der Kampf um Kobanê – Ausnahmezustand in der Türkei

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Lucie Billmann von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Referent Murat Çakır

So der Titel einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Zusammenarbeit mit DIDF (Föderation demokratische Arbeitervereine), eine Organisation von hauptsächlich türkisch- und kurdisch stämmigen Arbeitern am 13. November. Für mich durchaus ein Vortrag mit Ausnahmecharakter.

Murat Çakır, Journalist und Mitarbeiter der RLS, versuchte in seinem Referat die Entwicklungen in der Provinz Rojava, im Norden Syriens gelegen, darzustellen. Aus der Presse sind die Kämpfe um die kurdische Stadt Kobanê bekannt, eine Stadt in dieser Region, die seit Juli von den schwer bewaffneten Milizen des Islamischen Staats (IS) belagert wird.

Im Zuge der Proteste gegen Syriens Herrscher Assad wurde in Rojava ein Prozess des Aufbaus einer gesellschaftlichen Struktur begonnen, die für die gesamte Region einzigartig ist. Es wurden Verwaltungsstrukturen auf der Basis demokratischer Rätestrukturen, mit Geschlechterquotierung, kostenloser Schulbildung und Produktionsgenossenschaften – unter Einbezug der verschiedenen Bevölkerungsgruppen entlang ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit aufgebaut. Murat Çakır verglich diese Selbstverwaltungsstrukturen mit denen der Pariser Commune. Dieses Modell ist nun massiv gefährdet. Und genau hier beginnt für mich das Dilemma:

Um den Vormarsch der IS zu stoppen, warb Murat Çakır – und mit ihm Zuhörer im Auditorium – für Spenden, um Waffen zu kaufen. Ich habe mich während des Gedenkjahres zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Jahr mit dem Thema Krieg intensiv auseinander gesetzt. Was wir nicht gebrauchen können, sind Waffenlieferungen und schon gar nicht in Krisengebieten. Dass die Bundesregierung diesen Grundsatz in jüngster Zeit aufgeweicht hat, ist durch nichts zu rechtfertigen. Wenn linke Aktivisten Waffen an die syrisch-kurdische „Partei der Demokratischen Union“ PYD liefern, wer garantiert, dass sie nicht auch gegen Kurden aus dem Nordirak eingesetzt werden, gegen die Peschmerga-Kämpfer, wenn die IS erst einmal zurück gedrängt ist? Denkbar ist das, denn es gibt Konkurrenz auch zwischen den unterschiedlichen kurdischen Fraktionen, wobei vor allem die Barzani-Kräfte aus dem Nordirak (Südkuridistan) von Murat Çakır in kritisches Licht getaucht wurden. Neben Assad, dem IS und den nordirakischen Kurden gibt es eine vierte Kraft, die hier destabilisierend wirkt: Die türkische Regierung.

Sie öffnet nicht die Grenzen nach Kobanê, um Freiwillige und Hilfsgüter in die Stadt bringen zu können und um Flüchtlinge aufnehmen zu können. Ganz im Gegenteil: Die Massenproteste dagegen wurden mit massiver Polizeigewalt von türkicher Seite zurückgeschlagen unterstützt von bewaffneten islamistisch-nationalistischen Gruppen. Hunderte Menschen wurden verletzt, Dutzende getötet. Dazu kommt, dass das türkische Militär die unklare Situation ausnutzt und PKK Stellungen im Südosten der Türkei bombardiert. Auch für die deutsche Regierung steht die PKK noch auf die Liste der Terrororganisationen.

Was passiert, wenn die Türkei sich in eine militärische Auseinandersetzung mit der IS oder dem Assad-Regime hineinziehen lässt? Ruft dann die Nato den Bündnisfall aus? Auch an dieser Frage lässt sich ableiten, dass es dringend notwendig ist, einen Weg der Gespräche und der Verhandlungen einzuschlagen und jedwede Forderung nach militärischer Unterstützung eine Absage zu erteilen. Vor einem Jahr wurde diskutiert, Assad aus seinem Amt zu bomben. Die Folge wäre ein Erstarken der Freischärler und auch der IS gewesen, die man in dieser Form vor einem Jahr noch gar nicht wahrgenommen hat. Wir haben das gleiche Szenario schon vor 25 Jahren in Afghanistan erlebt, damals wurden die Taliban von den USA aufgerüstet, bis sie zu deren erbittertsten Feinden wurden. Aber es geht in Nahen Osten um sehr große Rohstoffvorräte, die sich die westliche Welt sichern will und dazu sind ihr alle Mittel recht. In dem Gebiet um Kobanê sollen 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas liegen, vor Israel im östlichen Mittelmeer gar ein Feld von 3,5 Billionen Kubikmeter.

Angesichts der Rivalitäten unterschiedlicher Kampfgruppen, Bevölkerungsgruppen, Clans und religiöser Fraktionen und dem Hunger nach Rohstoff der Industrienationen kann es nur eine Forderung geben, die schon Bertha von Suttner 1889 erhoben hat: „Die Waffen nieder!“

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