LiedGut, so überschreibt die Jazz-Gruppe Euroblue eine CD, die mir ihr Pianist Andreas Spätgens nach ihrem Auftritt am 28. Januar 2024 zuschickte.
Zwar teile ich nicht die Bezeichnung Epiphanie, die Mortiz Hildt in seinem Booklet-Text zur CD schreibt (er bezieht sich dabei auf einen Ausspruch von James Joyce), aber ein beglückendes Gefühl durchzieht mich, wenn ich diese Platte höre.
Das Album wurde von Friedreich Dessecker aufgenommen und sorgfältig abgemischt. Heraus kam ein bestechend transparenter Klang. Da werden Melodien und Lieder nebeneinander gestellt, bei denen es auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten gibt. Volksweisen (Die Vogelhochzeit, Geh aus mein Herz und suche Freud!, Sur le pont d’Avinion) stehen neben christlichem Liedgut (Vater unser im Himmelreich von Luther, der Choral Ich steh’ an deiner Krippen hier von J. S. Bach) aber auch das Partisanenlied Bella Ciao.
Die Platte vereint gute Lieder
Was zum Teufel verbinden diese Stücke? Es sind „gute Lieder“ eben LiedGut. Und es ist das einfühlsame Spiel der drei Ensemblemitglieder Bodo Ernst (Bass) Andreas Pastorek („Schlagwerk“) und Andreas Spätgens (Piano), die mit ihren außergewöhnlichen Interpretationen diese Stücke veredeln und polieren, zum Glänzen oder besser gesagt zum Klingen bringen.
Die drei haben Bernd Baur zu ihrer Session gebeten, der mit seinem Saxofon bei einigen Stücken außergewöhnliche, musikalische Soundideen einbringt. Z. B. bringt er die Klage des Psalmisten in dem Stück Aus tiefer Not schrei ich zu dir – das Martin Luther auf Grundlage des Klagepsalms 130 schrieb – als eben diese Klage durch den Sound seines Instruments zur Geltung. Gleich im Anschluss spielt Euroblue Le pélot d’Hennebont. Dieses Lied basiert auf dem Brief eines bretonischen Soldaten, der in der französischen Armee kämpfte. Seine Fähigkeit, alles zu töten, was sich bewegt, beeindruckt den König Louis, der ihm zur Belohnung einen Orden schenkt. Welch ein Gegensatz zu den Klagen des Psalm 130.
Ein Gesang, der nicht auf der Platte ist, scheint hörbar zu sein
Bei den Interpretationen von Euroblue glaubt man an manchen Stellen die Gesangsstimme herauszuhören. Aber das ist wohl ein epiphanisches Phänomen.
James Joyce nannte sie Epiphanien: jene kleinen und ganz und gar alltäglichen Momente, die im Leben einer Person jedoch tiefschürfende und einschneidende Wirkung entfalten und die Richtung, die es nimmt, für immer verändern können.
Moritz Hildt im Booklet zu Euroblue