Elsternest

Gefahr riecht nie nach Tränen

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Saša Stanišić gewann am 13. März den renommierten Leipziger Belletristik-Preis und las am 24. März 2014 im Literaturhaus Stuttgart. Uwe Kossak zeigte sich begeistert: „So viele Preisträger haben in diesem Saal schon gelesen“, womit er dem Haus einen guten Riecher für gehobene Literatur bescheinigte.

Vor dem Fest ist Stanišics zweiter Roman. Schon mit seinem Erstling: Wie der Soldat das Grammofon repariert, hatte er international Erfolg. Konzentrierte er sich in seinem letzten Roman auf seine Heimat, er wurde 1978 in Višegrad, Bosnien/Herzegowina, geboren, löst er sich in seinem neuen Werk ganz von dieser Region. Er erzählt von einem Dorf in der Uckermark, erzählt aus wechselnden Perspektiven mit wechselnden Erzählstimmen von der Nacht vor dem Annenfest. Er begibt sich in die Tiefe der Zeit und beschreibt anhand alter Überlieferungen Dorfgeschichte bis ins 16. Jahrhundert: das aber gleichfalls fiktiv, mitunter als Parodie, in altem Sprachsound. Das Dorf als Kollektiv spricht in Wir-Form, eine Kunstsprache, an der Stanišić lange herumgefeilt hat.

Saša Stanišić erzählt, dass er sich ein Dorf sprachlich erschaffen wollte, wie andere Häuser bauen. Bevor er in ein reales Dorf fuhr, hatte er es bereits in seiner Fantasie hergestellt, die Topologie festgelegt, wusste, dass es einen Weg zärtlich zwischen zwei Seen geben würde. Eine Freundin brachte ihn auf das Dorf Fürstenwerder in der Feldberger Seenlandschaft. Vieles, was er dort vorfand, hatte er längst zu Papier gebracht. So verband er bei seinem langen Aufenthalt dort die Realität mit seiner Fiktion, vergrub sich in die Dorfchronik, fragte die Bewohner nach ihren Geschichten und rang der Realität die Ingredienzien seines Romans ab.

Er erzählt von einer nachtblinden Malerin, die das Dorf bei Nacht malen möchte, von einem früheren Offizier der Nationalen Volksarmee, der den Zigarettenautomaten erschießt und von dem ehemaligen Briefträger Dietmar Dietz, von allen nur Ditsche genannt. Er war früher Briefträger und von allen als Spitzel verachtet. Heute hegt er sechzehn Hühner und bietet jeden Tag den Dorfbewohnern 10 Eier für unglaubliche 2 Euro an, präsentiert in einer rosa Box an der Pforte seiners Grundstücks. Von den Eiern angezogen wird auch eine Fähe, die im Dorf Futter für ihre Jungen sucht. Eine Passage aus der Sicht eben dieser Füchsin liest Saša Stanišić an diesem Abend Es wird seine ihm zur Verfügung stehende sprachliche Bandbreite deutlich mit der er uns in diese Geschichte zieht. Und er erzählt von der jahrhundertlangen Vergangenheit des Dorfes. Mit all seinen Geschichten, Mythen und Märchen, er erzählt von Menschen, ihren Schicksalen und Träumen. Der Text hat eine Lebendigkeit und Biegsamkeit, die einen verzaubert.

Vor dem Fest
320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Luchterhand, Preis: 19,99 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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