Diese Woche fing für M. nicht gut an: Er hatte seine Satteltasche mit Werkzeug (ganz unten) und Büchern – darüber – gefüllt, um zum Schriftstellerhaus zu fahren. Dort wollte er einen Schlüsseltresor anbringen.
Während der Fahrt dorthin spürte er ein merkwürdiges Schlenkern seines Hinterrades. Irgendetwas stimmte nicht. Was war los? Er stieg ab und besah sich die Satteltasche. Die war offen und der Beutel, in den er die Bücher gesteckt hatte, war mehr oder weniger leer. Ein Einsteck-Kalender für dieses Jahr, ein Universalschraubenzieher und diverse Dübel waren noch vorhanden. Vier Bücher, die er aus der Bibliothek geliehen hatte und die er zurückbringen wollte, waren verloren. Auch sein ledernes Kalendarium mit dem Kalender von 2022 und sein Führerschein, der darin aufbewahrt wurde, fehlten.
Das Glück, das man beim Einsammeln verspürt
M. war bereits von Korntal zum Nordbahnhof geradelt, als ihm dieser Verlust auffiel. Er kehrte um und fand ein erstes Buch auf der Fußgängerbrücke, die die die Gleise der S-Bahn am Nordbahnhof überspannt. Dramatisch nah lag es am Abgrund. Ein Windstoß und es wäre auf die Gleise gefallen. Ein zweites Buch fand er kurz vor dem Pragsattel, ein drittes am Pragsattel. Er fuhr weiter bis hinunter nach Feuerbach, wo er das vierte und letzte Buch fand. Dieses Glück, die ausgeliehenen Bücher unversehrt wieder eingesammelt zu haben, erfüllte ihn. Was verschwunden blieb, war das Ledermäppchen mit dem Einsteck-Kalendarium vom letzten Jahr, darin sein Führerschein und ein solider Schraubendreher. Sein „Gedächtnis“ für 2022 war dieser Kalender, alles Wichtige war darin notiert.
Anderen geht es ähnlich
Freunden, denen er von seinem Verlust erzählte, trösten ihn. Einige hatten ähnliches erlebt, mancher bekam sein verlorenes Portemonnaie zurück. Darauf hoffte auch M.
Am nächsten Tag der Anruf eines freundlichen Herrn N., der bei Porsche arbeitet. Er hätte einen schwarzen Lederkalender und darin einen Führerschein gefunden. Mit Sekt und Schokolade wollte M. sich für die Ehrlichkeit bei N. bedanken, der auch den Schraubendreher aufgesammelt hatte und beides M. an der Werkspforte übergab. Aber der wies jeglichen Finderlohn zurück, er selber hätte so etwas auch schon erlebt. So nah liegen Unglück und Glück beieinander, manchmal trennt sie nur ein Tag.