Um Opern habe ich Zeit meines Lebens einen großen Bogen gemacht. Sie sind mir zu lang, ich verstehe die Texte nicht, habe keine Lust, Libretti zu lesen. Als ich von einem Freund gefragt wurde, ob ich mir die BodyOpera Tristan und Isolde ansehen mag, in der er selber tanzt, erwachte meine Neugierde.
Stefan hatte uns Karten zurücklegen lassen und so gingen wir unvoreingenommen zur Aufführung von Tristan und Isolde und Petitcru. Eine Einführung durch den Dramaturgen Ulrich Fleischmann in die künstlerische Arbeit der Choreografin Katja Erdmann-Raski war hilfreich, sonst hätte sich mir das Stück nicht erschlossen. Ich erfuhr, dass die BodyOpera in drei Akte gegliedert ist, in denen dreimal hintereinander exakt dieselbe Musik zu hören ist. Und, so erläuterte der Dramaturg, könnten wir jedes Mal etwas anderes heraushören.
Vier junge Tänzerinnen und zwei nicht mehr ganz so junge Dackel
Vier Profitänzerinnen und acht Laien interpretieren diese drei Akte mit großer Spielfreude. Dabei spielen die vier Tänzerinnen, die sich durch die drei Akte in wechselnder Besetzung tanzen, am Limit der körperlichen Belastung. Das Dehnen ihrer jungen Körper und die Schritte, mit denen sie auf der Bühne agieren, zeigen jahrelanges, hartes Training und zollen einem Respekt ab. Petitcru wird im dritten Akt durch zwei per Video eingespielten Rauhaardackeln verkörpert. In den drei Akten wird unterschiedlich auf die Sinne Sehen, Schmecken sowie Hören/Fühlen fokussiert.
Den anderen sehen und das Spiegelbild
Der erste Akt steht das Sehen im Vordergrund. Die Tänzerinnen suchen sich mit den Blicken. Als Bühnenbild dient lediglich ein Spiegelstreifen, auf dem die beiden agieren und der so die Blicke noch einmal doppelt. Die Sehnsucht wird dargestellt durch Nähe und Distanz, in spiegelbildlichen Bewegungssequenzen gleichen sie sich aneinander an. Nicht Vereintsein ist das Ziel, sondern Einssein. Das drückt sich schließlich durch die ununterscheidbaren, zu einer Kugel ineinander verknäulten Körper der beiden Tänzerinnen aus.
Mit dem Löffel den Liebestrank verabreichen
Im Mittelteil kommen die acht Laientänzerinnen und -tänzer zum Einsatz. Die Intimität im ersten Akt wird abgelöst durch ein Kollektiv, in dem scheinbar jeder einen eigenständigen Part spielt. Nähe wird nicht über Blicke hergestellt. Löffel dienen dazu, die Distanz zu den Nächsten zu überbrücken, indem tänzerisch einer den anderen „füttert“. Mit großer Geduld verabreicht z. B. ein Mann eine wohldosierte Fütterung, ein Liebestrank als bittere Medizin. Sein weibliches Gegenüber weicht zurück und kann sich doch nicht retten.
Hören und tasten
Im dritten Akt werden zwei Rauhaardackel, Babsi und Fiete, eingespielt. Sie tollen auf dem Sofa und auf dem Teppich. Die Bilder kippen in die schwarzweiße Reduktion, als die beiden Dackel sich im Schnee bewegen. Diese Videoprojektion bildet den Hintergrund, um die Innerlichkeit der Liebesthematik von Tristan und Isolde auszuloten. Mit geschlossenen Augen macht das die anmutig-kraftvolle italienische Tänzerin Stella Covi. Anfangs im Duett mit Elena Cattardico. Sie erfühlen die Bewegung der jeweils anderen. Danach geht Stella Covi im Solotanz aus sich heraus, um sich fortan durch feinste Zuckungen und schmelzenden Gesten mit den Klängen von Wagners Oper zu verschmelzen.
Der lang anhaltende Applaus des Publikums zwischen den einzelnen Teilen und am Ende der Aufführung von Tristan und Isolde gilt an diesem Abend nicht nur den hervorragenden, jungen Tänzerinnen, sondern gleichermaßen den Laientänzerinnen und Tänzern, die das Stück bereichert haben.