Elsternest

Hasstexte – Eine gefährliche Textsorte

Dr. Michael Kienzle Foto: Stiftung Geißstraße 7
Dr. Michael Kienzle Foto: Stiftung Geißstraße 7

Den folgenden Vortrag hielt Dr. Michael Kienzle, Literaturwissenschaftler und geschäftsführender Vorstand der Stiftung Geißstraße 7, am 3. Mai 2017 in den Räumen der Stiftung Geißstaße im Rahmen der Veranstaltungsreiche „Die Wucht der Worte“. Darin stellte er die Fragen: Warum nimmt der Hass in öffentlichen Debatten stetig zu? Wie unterscheidet sich der zerstörerische Hass vom gerechten Zorn oder der Wut und woher kommt er? Den folgenden Text hat er freundlicher Weise dem Elsternest zur Verfügung gestellt:

Hasserfüllte Rede ist geeignet, die Verständigung zwischen Menschen, Bürgern oder Staaten zu vergiften und zu verhindern. Die hasserfüllte Rede kann nicht nur Verletzungen hervorrufen, sondern sie ist „selbst eine Verletzung und damit unzweideutig eine Form des Verhaltens“, wie Judith Butler schreibt. Durch solches „Verhalten“ hoffen Populisten, demokratische Strukturen zu zerstören. Die AfD spricht konsequent von der „thymotischen Unterversorgung der Deutschen“ – die regen sich angeblich zu wenig auf.

Zu unterscheiden sind zunächst das aufbrausende Schimpfen, die Wut, der Zorn von der Hassrede oder vom Hasskommentar. Erstere sind anlassbezogen. Schimpfen ist nicht unversöhnlich, die Wut kann verrauchen und der gerechte Zorn kann durchaus Gerechtigkeit wieder herstellen. Diese Unterschiede ergeben sich oft erst aus dem Kontext.

Hass aber ist irrational und nicht auf Verständigung angelegt. Er ist, wie oft auch der Stolz, eine versteinertes Gefühl. Er ist auf die Konstruktion eines Gegners und dessen Vernichtung aus. Der hater ist aggressiv oder zynisch, oft auch gegen sich selbst. Er setzt sich absolut, er spricht pathetisch und meist aus einer selbstgesuchten Opferrolle heraus. Die Hassrede trägt dazu bei den „zivilisierten Streit“ über öffentlichen Angelegenheiten zu verzerren und zu entgrenzen. Verletzender Rede muss zuerst auf der Ebene der Zivilgesellschaft entgegengetreten werden.

„Sieg Heil! Stellt alle Juden mit dem Gesicht zur Wand! Ladet eure Gewehre durch und verteilt die Scheiße an der Wand.“ (FAS 28.2.16)
Dieser Post wurde bei Facebook nicht gelöscht, weil er angeblich nicht gegen die Guidelines verstößt: Schon die gewaltige Menge von Hasstexten stellt die Frage, inwieweit sich solche Schreiber auf Art. 5GG berufen können? Die staatliche Strafverfolgung nutzt die vorhandenen Paragrafen des Strafrechts wie Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Nötigung und Bedrohung nur gelegentlich.

Der Europarat hat den nachlässigen Umgang Deutschlands mit der Hasskriminalität erst kürzlich gerügt. Und dann stellt sich auch die Frage nach der Verantwortlichkeit der Internetplattformbetreiber.

Justizminister Maas hat den Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerden (Netzwerksdurchsetzungsgesetz)“ vorgelegt. Er fordert u.a. eine Beschwerdeberichtspflicht, die Löschung rechtswidriger Inhalte und nationale Rechtsverantwortung. Dieser Entwurf wird kontrovers diskutiert. Abzuwägen ist das hohe Gut der der Meinungsfreiheit, der Parrhesia, der Freiheit, über alles sprechen zu können. Und andererseits der Schutz Einzelner und Menschengruppen vor der Wucht gruppenbezogener Diskriminierung (Ethnophaulismus).

Diese Abwägung muss verantwortlich getroffen werden. Sie muss getroffen werden zwischen dem hohen Ideal des free-speech-absolutism und der nie unberechtigten Furcht vor Zensur. Und den verbalen Verletzungen/Traumatisierungen von Menschen sowie der Zerstörung demokratischer Konsensbildung. Ein Vorbild zivilgesellschaftlicher Counterspeech könnten die Initiativen wie die von Hannes Ley: #Ichbinhier sein.

Die Reihe wird fortgesetzt am Mittwoch, 10. Mai 2017, 20:00 Uhr in der Geißstraße 7. An diesem Abend wird es um Hasskommentare in den Sozialen Medien gehen. Referentin Dr. Christine Lehmann. Als Autorin von Krimis, Hörspielen, Theaterstücken und Jugendromanen ist sie Spezialistin für Sprache und sprachliches Agieren. Sie bloggt seit Jahren über verschiedene Themen.

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