Unter diesem ungewöhnlichen Titel präsentierte das „theater.prekariat“ seinen Arbeitsprozess. Ihr Selbstverständnis drücken sie so aus: „theater.prekariat entwickelt theatrale Diskursproduktionen an der Schnittstelle zwischen Theater und bildender Kunst. Im Mittelpunkt der Arbeiten steht die Erforschung des Koordinatensystems Stadt-Raum-Mensch.“ Und ihren ungewöhnlichen Namen erklären sie gleich mit: „Der Ansatz von theater.prekariat ist partizipativ. Das Prekäre unserer Praxis liegt im Risiko dessen, was passiert, wenn Künstler und Akteure unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Aufenthaltsstatus zusammenarbeiten.“ Diesem Risiko setzten sie sich auch am 25. Februar im Theater Nord aus.
Die Spielstätte Nord ist für das theater.prekariat der ideale Ort
Die Spielstätte Nord des Schauspiel Stuttgart ist eine gute Adresse für experimentelles Theaterspiel. Da wundert es nicht, wenn die Gruppe um Regisseurin Adelheid Schulz ihre Tische im Vorraum der Spielstätte aufbauen und die Zuschauer gebeten werden, an einer großen Tafel Platz zu nehmen. Akteure und Zuschauer sitzen gemischt nebeneinander. Es entsteht der Eindruck, Teil des Ensembles zu sein. Dieses besteht aus jungen Deutschen und nach Deutschland Geflüchteten. Die Autorin Sudabeh Mohafez hatte mit den Ensemblemitgliedern die Texte erarbeitet, die sie an diesem Nachmittag vortragen. Sie beschreiben in ihren Texten den derzeitigen Wohnort, der mit dem der Kindheit für die hierher geflüchteten Ensemblemitgliedern ja nicht derselbe ist. Biografiebrüche werden deutlich. Aus einem Radio erklingt im Text ein Lied, das an das Haus erinnert, in dem sie aufgewachsen sind. In den Texten vermischen sich diese beiden Erfahrungen und es entsteht durch die unterschiedlichen Sprachen, in denen die Texte vorgetragen werden, ein fast schwebender Zustand: Persisch, Arabisch, Französisch, Deutsch. Der Blick gleitet vom Bett aus dem Fenster, man erinnert sich, wie das Bett gestanden hat welche Form das Bett hatte und woraus es gebaut war. Welchen Blick man aus dem Zimmer hatte. Da wird schnell klar, es ist egal, ob du im Remseck geschlafen hast in Teheran, Damaskus oder Kabul. Die kindlichen Erinnerungen in den Texten gleichen sich. Kinder sind überall Kinder. Und wenn die äußere Hülle entfernt wird, kommen intime Beobachtungen zustande.
Ging es im ersten Teil des Theaterprojektes noch um den öffentlichen Raum (siehe Beschreibung in der Ausgabe 295 von KONTEXT), so sind die Schauspielerinnen und Schauspieler nun im privaten Raum angekommen. In der Intimität der Familie.
Zwischen den kurzen Lesungen der selbst produzierten Texten wird von N. Darwish die 11saitige Oud mit dem Rischa (dem Oud-Plektrum) gespielt. Nein, seines ist nicht aus dem Kiel einer Adlerfeder hergestellt, es ist ein längliches Kunststoffstück.
Aktivitäten der Zuschauer sind gefragt
Für die Zuhörer geht es an diesem Nachmittag nicht nur um passives Konsumieren der dargebotenen Texte. Sudabeh Mohafez hat mit den Ensemblemitgliedern auch mit der Textform „Elfchen“ erfolgreich gearbeitet. Eine sehr strenge, verknappte Form des lyrischen Ausdrucks mit einer vorgegebenen Form. Diese Form wird auch mit den Zuhörern ausprobiert. Elf Wörter, die in festgelegter Folge auf fünf Zeilen verteilt werden, kommen schnell zusammen.
Weiter geht es mit der verknappten Form: Texte in Chat-Dialogform werden vorgetragen. Immer haben die Texte mit der Wirklichkeit dieser engagierten jungen Leute zu tun. Man darf gespannt sein auf das ausformulierte Projekt, das in diesem Sommer zur Aufführung kommen soll.
Bis dahin ist es für Regisseurin Adelheid Schulz, dem Produktionsleiter Felix Heimbach und den Schauspielerinnen und Schauspielern noch ein gutes Stück Arbeit. Der an diesem Samstag präsentierte Arbeitsprozess wird bei einer – von einer Schauspielerin selbst gekochten – orientalischen Linsensuppe in lockerer Runde mit den Zuschauerinnen und Zuschauern diskutiert.