Elsternest

Querfront – eine verquere Welt

Ivo Bozic spricht in der Stiftung Geißstraße Stuttgart über das Phänomen Querfront
Ivo Bozic spricht in der Stiftung Geißstraße Stuttgart über das Phänomen Querfront

 

Die Stiftung Geißstraße in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Emanzipation und Frieden e.V. und der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg hatten am 14. Juli 2016 Ivo Bozic eingeladen, um über das Querfront-Phänomen zu referieren. Antiwestlich, national und sozial: Ist das eigentlich rechts oder links – oder beides? In Deutschland ist seit den Erfolgen der neuen völkischen Bewegungen wie den Montagsmahnwachen, Pegida und der AfD oft von einer neuen Querfront die Rede. Ist es sinnvoll an den klassischen Zuschreibungen „links“ und „rechts“ festzuhalten, obwohl es mit dem völkischen Nationalismus und dem antiwestlichen und antizionistischen Antiimperialismus große Schnittmengen zwischen beiden gibt? Was eint so unterschiedliche Akteure wie Wladimir Putin, den „Islamischen Staat“, den Iran, Le Pen, Verschwörungstheoretiker, Teile der Linkspartei und Pegida? Das versuchte Ivo Bozic an diesem Abend zu klären. Vorab als Fazit: Er hat einen wichtigen Schritt zur Aufklärung beigetragen.

Die Montagsdemonstrationen für den Frieden

Wo sind die ideologischen Schnittmengen zwischen rechts und links? Als der Ukraine-Konflikt sich zuspitzte, gingen viele Menschen Montag für Montag auf die Straße: Seit 2014 gibt es die Mahnwachen für den Frieden. Die Demonstranten setzen sich aus allen politischen Strömungen zusammen. Alle verbindet der „Hass auf das Schweinesystem“. Sie eint die Ablehnung von Dekadenz und der Bourgeoisie. Neonazis und Autonome marschieren Hand in Hand. Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechtspopulistischen Magazins Compact, ist einer der treibenden Akteure neben Ken Jebsen und Lars Mährholz. Elsässer war Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB). Elsässer gilt als einer der ursprünglichen Protagonisten der Antideutschen. Er arbeitete für die Monatszeitschrift konkret. Bis 2002 war er auch Redakteur bei der Zeitung Junge Welt. Aus dieser Zeit kennen sich Ivo Bozic und Jürgen Elsässer.

In der Weimarer Republik wurde der Grundstein gelegt

Das Konzept der Querfront hat seine Wurzeln unter anderem in der sogenannten Konservativen Revolution der Weimarer Zeit. Es sollte keine Linken und Rechten mehr geben, sondern nur noch deutsche Volksgenossen. Die Brüder Gregor und Otto Strasser gehörten dazu. Schon 1923 forderte der Vordenker Arthur Moeller van den Bruck den Nationalismus und Sozialismus völkisch miteinander zu verknüpfen. Und weiter: Deutschland solle sich nach Osten, zur Sowjetunion hin orientieren, gegen den liberalen Westen, vor allem die USA. Daran knüpfen die neuen Montagsdemonstrationen an, allerdings hat es in der jüngeren Geschichte eine unübersehbare Zahl von Querfronten gegeben, von Überschneidungen linker und rechter Positionen, ohne dass sich deren Vertreter selbst immer als Querfront definiert hätten.

Verschwörungstheorien gehören immer dazu

Wo immer die Querfront auftaucht sind die Verschwörungstheoretiker nicht weit. (9/11 ist vom CIA selber inszeniert worden). Die Bilderberg-Konferenz gilt als eine Gruppe, die den globalen Eliten untersteht. Angeblich streben die Bilderberger eine neue Weltordnung an, mit der Spitze von Militär, Weltbank und der Hilfe von gesteuerten Medien.

Die Querfront als weltpolitisches Phänomen

Zu denkwürdigen Allianzen zwischen Linken und Rechten kam es auch im Zuge des Irak-Kriegs 2003. Linke wie rechte Antiimperialisten bezogen sich positiv auf den Ba’athismus und Saddam Hussein und unterstützten den irakischen Terrorismus als „legitimen Widerstand“ gegen die US-Truppen, sammelten sogar Geld für die terroristischen Gruppen. Der IS von heute hat in seiner obersten Führungsschicht etliche Offiziere aus Saddams Armee. Der von Slobodan Milošević protegierte rechtsextreme Anführer der Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Šešelj, feierte seinen alten Freund Saddam Hussein als „Waffenbruder“ und als „Symbol des Widerstands gegen die neofaschistischen US-Barbaren“.

Wenn es um Sympathiebekundungen mit Diktatoren geht, seien es Saddam, Gaddafi, Ahmadinejad oder jetzt Assad, stehen linke Antiimperialisten und Neonazis meist Seite an Seite. Im Hass auf die USA und Israel zeigt man sich vereint. Gemeinsamer Bezugspunkt sind immer wieder der Antizionismus und die Solidarität mit den Palästinensern. 2010 nehmen an der Free-Gaza-Flottille Linke, Faschisten und Islamisten gemeinsam teil. Hier sitzt die rot-braun-grüne Querfront auch ganz praktisch zusammen in einem Boot.

Ein aktuelles und besonders beeindruckendes Beispiel einer Querfront ist in Griechenland zu beobachten. Die ultrarechte Partei „Morgenröte“ koaliert mit der linkssozialistischen Syriza-Partei. Rechtspopulisten wie der Front National von Marie Le Pen kooperieren mit Russlands Putin. Putin gilt sowohl Linken wie auch Rechten als Gegenmodell zur USA. Ideologisch wird die Querfront in Deutschland vor allem von dem Internetkanal „Russia Today“ unterstützt. Sie zeigen im Gegensatz zur „Lügenpresse“ was verschwiegen oder weggeschnitten wird. Sie bezeichnen sich als der „Fehlende Part“ in der deutschsprachigen Medienlandschaft. Kaum verwunderlich, dass sie mit ihrem Programm vor allem die Wähler der Linkspartei, die Nichtwähler und die AfD erreichen. Pikant: Die Nachdenkseiten verlinken sowohl auf den Kanal von Ken Jebsen als auch auf Russia Today.

Eine schillernde Persönlichkeit der Querfront

Wie eine Querfront sowohl ideologisch als auch personell funktioniert, zeichnet Ivo Bozic an diesem Abend am Beispiel des Schweizer Bankiers François Genoud nach. Dieser reist als jugendlicher Hitler-Fan 1936 in den Nahen Osten, wo er in den arabischen Aufstand gerät. Er sieht Parallelen zum Kampf seiner deutschen NS-Idole, denn es gehe jeweils um die Bekämpfung des „internationalen Judentums“. Er wird zum Partner des Muftis von Jerusalem, der wiederum mit NS-Deutschland zusammenarbeitet. Für Genoud sind der arabische Nationalismus und die antikoloniale Bewegung Teil desselben Kampfes. Er unterstützt die algerische Befreiungsfront und trifft dabei jede Menge Linke. Später unterstützt er die RAF, den Terroristen Carlos und viele andere Linke wie Rechte. Für den amerikanischen Geheimdienst hat er auch gearbeitet.

Ivo Bozic macht deutlich, wie dehnbar die Begriffe „links“ und „rechts“ sind. Diese Erfahrung machen umgekehrt auch antideutsche Linke zuweilen, wenn sie sich in außenpolitischen Fragen, etwa in Sachen Israel, Syrien oder Iran, häufiger an der Seite rechter Think Tanks wiederfinden als an der Seite der vermeintlichen Linken.

Am Ende des Abends steht die Frage: Worum geht es? Es geht um die Gleichheit und Freiheit aller Menschen. Autoritäre, nationalste, sexistische, rassistische, antisemitische, menschenfeindliche Lösungsangebote sind zurück zu weisen.

Den Vortrag nachhören hier.
Weiterführende Links: Die links-jihadistische Querfront und: Historischer Abriss der Querfront

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