Elsternest

Rechts blinken und an der Raststätte rausfahren

Rainer Wochele über Raststätten
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Rainer Wochele hat nach langer Zeit wieder ein Buch vorgelegt. Wieder im Klöpfer & Meyer Verlag, der mittlerweile im Narr Verlag aufgegangen ist. Vier Jahre sind nach seinem letzten Roman vergangen und es erschließt sich mir nicht, warum er diese „Textsammlung“ zwischen zwei Buchdeckel hat binden lassen.

Resteverwertung zwischen zwei Buchdeckeln

Die fiktiven Texte sind sehr kurz, nur wenige gehen über zwei oder gar drei Seiten. Das Büchlein erweckt den Eindruck, als hätte Rainer Wochele seine Schubladen und Schreibmappen geleert und die kurzen Texte, oft nur 30 Zeilen lang, unter einen gemeinsamen Aspekt gebracht, den der Autobahnraststätte. Das war sicher sehr einfach, denn häufig findet sich der Hinweis auf die Raststätte dadurch, dass er schreibt: setzte den Blinker und bog auf die Raststätte ab, wobei er vorzugsweise die Raststätte „Albheide“ auf der A8 benennt (immerhin 14mal in seinen 49 Textchen). Diese Texte ergänzt er mit 25 knappen Texten, direkt aus Autowerbeprospekten und 11 Texten, die er aus der Geschichte der Autobahnen in Deutschland einfügt.

Ein Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten des Automobilverkehrs findet nicht statt

Das Buch ist auch aufgrund von zwei anderen Aspekten mehr als ärgerlich:
Kein Text befasst sich mit den katastrophalen Zuständen auf den Autobahnraststätten, die der STERN vor kurzem als „Raubritterburgen der Moderne“ charakterisiert hat. Neben den völlig überhöhten Preisen hätte er die prekären Arbeitsbedingungen der Angestellten in den Blick nehmen können und daraus spannende Sozialreportagen in literarischem Gewand schreiben können. Das er das kann, hat er mit seinem hervorragenden Roman „Der General und der Clown“ bewiesen.

Raststätten in den Händen des Finanzkapitals

Fabelpreise beim Sprit, Beutelschneiderei im Shop, Pipi-Maut: Umfragen zeigen, dass sich Reisende an Raststätten abgezockt fühlen. Keiner von Wocheles Protagonisten beklagt diesen Zustand.

Auch die Tatsache, dass die Autobahnraststätten heute von internationalen Investorengruppen ausgebeutet werden, findet sich nicht einmal in einer Randbemerkung. Bis in den 80ziger Jahren gehörten die Raststätten der damals staatlichen „Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen“ (GfN).

1994 firmierte die Regierung Kohl die GfN zur „Tank & Rast AG“ um. Teile von ihr sollten über die Börse verkauft werden, zum Stopfen von Haushaltslöchern. Vier Jahre später wurde Tank & Rast überraschend für rund 600 Millionen Euro an ein Investoren-Konsortium aus Allianz Capital Partners, Lufthansa Service Holding und Apax-Fondsgesellschaften verscherbelt. Finanzinvestoren bleiben in der Regel nicht lange. Ihr Geschäftsmodell lautet: kaufen, kassieren, verschwinden.

„Tank & Rast wurde über die Jahre von einem Investor zum nächsten durchgereicht. Heute gehört Tank & Rast neben Allianz Capital Partners einer Tochter des Rückversicherers Munich Re sowie Fonds aus Kanada, Abu Dhabi und China. Kaufpreis 2015: rund 3,5 Milliarden Euro – fast das Sechsfache dessen, was der Staat einst bekam.“ (Stern Nr.29 vom 11.07.2019)

Das hätte Rainer Wochele als Folie für spannende Geschichten nehmen können. Stattdessen lässt er sich über Bienenstich, Mönche, Nonnen, Paare und andere Raststättenbesucher aus.

Den Mythos der Autobahn entlarvt Rainer Wochele nicht

Ebenfalls keinerlei Kritik an den Plänen des „Führers“, die Autobahnen zu bauen. Er zitiert immer wieder Aufsätze aus der Zeit. Dass die Autobahnen dem faschistischen Deutschland als Logistikadern für seine Kriegspläne gedient haben, davon kein Wort bei Rainer Wochele.

Ein „phantasievolles“ Buchmarketing

Und dann das Markting des Verlages: Da wird diese „Fingerübung“ auf dem Klappentext als „Roman“ bezeichnet, der formal an Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz erinnern würde. Geht’s noch, Herr Mario Andreotti?

Dass Anton Hunger, ehemaliger Pressesprecher von Porsche, die „Erotik von Autobahnraststätten“ in Rainer Wocheles Buch entdeckt, hängt offensichtlich damit zusammen, dass er als bekennender Automobilist jedes Thema in Zusammenhang mit der Autoindustrie als sexy empfindet. Aber kann ein kritischer Schriftsteller, als der Rainer Wochele bisher aufgetreten ist, die ökologische Krise so vollständig ausblenden? Er verliert kein Wort zur Umweltzerstörung durch den Individualverkehr, er schreibt kein Wort zu katastrophalen Flächenversiegelung. Schade.

An der Raststätte
Eine Exkursion
113 Seiten, Hardcover, geb. mit Lesebändchen
Klöpfer, Narr GmbH, Preis 18 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

Update 04.09.19:

Meine am Ende des Artikels geäußerte Vermutung, dass es sich aufgrund der vielen Werbetextschnipsel um eine Auftragsarbeit der Automobilindustrie handeln könnte, ist von Verlagsseite dementiert worden. Deshalb wurde der letzte Abschnitt komplett gelöscht.

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