Elsternest

Spiegelei und Genderstern – auf der Suche nach Identität

Amanda Gorman während ihrer Gedichtrezitation von Identität keine Rede
Amanda Gorman während ihrer Gedichtrezitation (Screenshot YouTube)

Seit einiger Zeit tobt ein Kampf um Sprache und um Identität. Immer häufiger ist der Genderstern auch im öffentlich rechtlichen Rundfunk zu hören. Man spricht nicht mehr nur von Hörern und Hörerinnen, nein heute heißt es Hörer*innen. Um das Gendersternchen oder ein anderes Genderzeichen als Platzhalter für weitere mögliche Geschlechter und Geschlechtsidentitäten zu verdeutlichen, wird es beim Sprechen meist mit einer winzigen Pause angedeutet („Gender-Pause“), vergleichbar einer gesprochenen Wortfuge wie bei Spiegelei. Fachsprachlich ist das ein Glottisschlag (stimmloser, glottal gebildeter Verschlusslaut). Zum Genderstern ist anzumerken: Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) rät aus sprachwissenschaftlicher Sicht von der Verwendung dieser Formen geschlechtergerechter und genderneutraler Sprache ab.

Wird durch Sprache die soziale Stellung verändert?

Die Frage ist nun, ob diese Form des Sprechens den Kampf um eine gerechtere Betrachtung der unterschiedlichen Identitäten, die von Männern, Frauen, Homosexuellen, Lesben und Transgenderpersonen befördert. Oder anders gefragt: Ist es legitim, in dieser Intensität Sprache kritisch zu reflektieren? Was, wenn wir am Ende all unsere Kraft darauf verwenden, uns nur noch über Sprache zu streiten, anstatt die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten von Männern und Frauen in den Blick zu nehmen. Ändert eine gendergerechte Sprache die ökonomische Situation von Millionen von Frauen in den Niedriglohnjobs? Wenn sie vergessen werden, dann hat auch Identitätspolitik ein Problem. Es ist schon bezeichnend, wer so vehement über Identitätspolitik streitet: es sind vor allem studentische und intellektuelle Kreise, die diese Debatte mit einer Schärfe führen, die einen ratlos zurücklässt.

Die Guillotinen sind im Feuilleton längst wieder errichtet

Selbst Feministen geraten dabei diesen neuen Jakobinern schnell unters Messer. Caroline Fourest z. B., die in ihrem Buch Generation Beleidigt die radikalisierten Studenten in den westlichen Ländern heftig kritisiert. Caroline Fourest , die linke, lesbische Außenseiterin von einst, wird heute von radikalen Vertretern des identitären Gedankengutes aufs heftigste angegriffen. Sie appelliert an die jungen Leute, nicht den falschen Kampf zu kämpfen.

„Aber heute treibt mich eine große Angst um, von der jungen Generation instrumentalisiert zu werden. Es gibt eine neue Art, für Feminismus und Antirassismus einzutreten, die bei mir die Alarmglocken läuten lässt. Ich nenne das identitären Feminismus und Antirassismus, die am Ende nur den Rechtsextremisten in die Hände spielen.“

Das erlebte sie z. B. in Brüssel, als sie gegen das Tragen des Ganzkörperschleiers sprach. Linksextremistische und islamistische Gruppen störten gemeinsam die Veranstaltung und forderten ihre „symbolische Steinigung“.

Die Diskussion nahm in Nordamerika ihren Anfang

Wie so vieles hat diese Form des Rigorismus seinen Ursprung in Nordamerika. In den USA und Kanada hat die studentische Jugend teilweise eine Radikalität entwickelt, die keinen Widerspruch mehr duldet. Mehr noch: Widerspruch wird von ihr als Demütigung und Beleidigung empfunden, sodass man der Person, die widerspricht, das Wort verbietet. Dafür gibt es inzwischen unzählige Beispiele, auf die man in ihren Absurditäten nur mit beißendem Spott reagieren kann. In Kanada bestanden Studenten darauf, einen Yoga-Kurs für Behinderte zu streichen, weil sie darin eine unzulässige Aneignung der indischen Kultur sahen. Oder mit gleicher Argumentation spricht man sich gegen den Tango tanz aus, denn das sei kulturelle Aneignung der lateinamerikanischen Kultur.

Doch ist nicht die ganze menschlichen Geschichte eine einzige Aneignung und ist sie nicht geprägt von der Integration fremder Kulturen? Die moderne Musik ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Darf ein weißer Musiker nicht den Blues der ehemals schwarzen Sklaven spielen? Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, menschliche Kultur kann sich nur entwickeln, wenn sich Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinander beziehen und miteinander in Kontakt treten.

Welche Identität muss eine Übersetzerin haben?

Gerade haben wir wieder ein solches Trauerspiel der Identitätspolitik erlebt, als es um die Übersetzung des Gedichtes von Amanda Gormans: The Hill we Climb ging. Eine heftige Debatte wurde darüber geführt, ob der Text von einem Weißen (geht gar nicht!) oder einer Weißen überhaupt übersetzt werden dürfte. Das erfuhr tragischer Weise ein Text, der auf Zusammenführung, Einheit und Solidarität verwies.

In den Niederlanden gab die mit der Übertragung betraute Autorin und Lyrikerin Marieke Lucas Rijneveld den Auftrag zurück, nachdem die Aktivistin Janice Deul kritisiert hatte, dass man sich für eine weiße, nichtbinäre Person für die Übersetzung einer Schwarzen Autorin entschieden hat. Begründung der Kritik: Gormans Schreiben sei von ihrer Erfahrung und Identität als schwarze Frau geprägt und somit nicht von einer Weißen übersetzbar. In der Konsequenz führt das zu der Frage, welche Hautfarbe bzw. welche Identität man haben müsse, um bestimmte Texte übersetzen zu dürfen.

Die Übertragung ins Deutsche wird nun, veranlasst vom Hoffmann und Campe, an ein Übersetzungsteam von drei Personen vergeben. Nur eine davon, Uda Strätling, ist Übersetzerin. Die beiden anderen sind Politikwissenschaftlerinnen: Hadija Haruna-Oelker (Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Migrations- und Rassismusforschung), Kübra Gümüşay, ebenfalls Politikwissenschaftlerin. Keine von beiden hat je eine Zeile übersetzt. Aber beide gehören Minderheiten an und entsprechen so der Vorstellung des identitären Zeitgeistes.

I have a dream

Was würde Dr. Martin Luther King zu diesem Vorgang sagen, der in seiner berühmten Rede „I have a dream“ der Gleichheit aller Menschen das Wort redete. Er träumte davon, dass eines Tages seine vier Kinder nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden würden. Er träumte davon, dass das einzige Merkmal der Unterscheidung der Charakter sein wird. Mit diesen Ansichten stände King sicher in der Schusslinie derjenigen, die Identitätspolitik propagieren.

Jeder, der heute etwas gegen diese Form der Zuweisung das Wort ergreift, muss mit heftigsten Angriffen rechnen, wie es vor einigen Wochen dem langjährigen SPD-Mitglied Wolfgang Thierse ergangen ist. Aufgrund eines Artikels in der FAZ, in dem er sich gegen die Identitätspolitik ausspracht, sah er sich heftigster Kritik ausgesetzt. „Rückwärtsgewandt“ war da noch die harmloseste Zuweisung.

Wenn über die Errichtung von Toiletten für das dritte Geschlecht debattiert wird, aber die immer noch in weiten Teilen katastrophalen Zustände für Menschen mit Beeinträchtigungen im öffentlichen Raum nicht thematisiert werden, dann läuft etwas schief in diversen Kreisen.

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