Ich stolpere an diesem freundlichen Herbsttag durch die Gassen der Altstadt von Stuttgart. Viel ist aus der Zeit, in der Joseph Süß Oppenheimer hier wirkte, nicht mehr vorhanden. Das Kopfsteinpflaster ist längst dem Asphalt gewichen. Plötzlich finde ich mich am Wohnhaus des Joseph Süß Oppenheimer wieder. Es stand dort, wo sich heute der Friedrichsbau erhebt. Joseph Süß Oppenheimer musste das Haus über einen Strohmann kaufen. Juden war der Erwerb von Grundbesitz nicht gestattet. Nun war er Nachbar des Großvaters von Wilhelm Hauff, dem bedeutenden Dichter der Romantik. Oppenheimer hatte in den letzten Jahren viel Geld verdient. Als Privatfinanzier in der Pfalz, durch Vergabe von Krediten an verschuldete Adelige. Langsam wuchs sein Einfluss. Immer, wenn Banken sich weigerten, den aufwändigen Lebenswandel der Geldsuchenden zu finanzieren, sprang er ein. Seine Kredite waren teuer, jedoch ohne zu wuchern.
Von einem Kenner der Literaturgeschichte werde ich geführt: Birger Laing, an seiner Seite der Rezitator Rudolf Guckelsberger, der historische Texte liest, mich so in die Zeit hineinzieht aber auch Auszüge aus Romanen. Ich erfahre:
Der Aufstieg
Bei einer Heiratsvermittlung im Auftrag des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg lernte Joseph Süß Oppenheimer 1732 in Wildbad dessen Neffen Karl Alexander kennen. Wie viele Fürsten damals, litt er unter chronischem Geldmangel. Da hatten sich zwei gefunden: Noch im selben Jahr ernannte Karl Alexander Oppenheimer zu seinem Hof- und Kriegsfaktor. Seine Aufgabe war kurz und knapp: Geldbeschaffung für Luxuswaren und Heereslieferungen. Und als ein Jahr später Karl Alexander den Thron bestieg, war der Aufstieg des geschäftstüchtigen Finanzgenies unaufhaltsam. Der neue Herzog von Württemberg räumte ihm weite Entscheidungsspielräume in Wirtschafts- und Finanzfragen des Landes ein. Beliebt machten die beiden sich nicht: Karl Alexander war vom protestantischen zum katholischen Glauben übergetreten. In seiner vierjährigen Regierungszeit (1733–1737) regierte also ein katholischer Fürst, beraten von einem Juden ohne volle Bürgerrechte, über eine protestantische Bevölkerung. Das erzeugte erhebliche Spannungen. Er stellt die Ständeversammlung kalt, band sie nur pro Forma in seine Regierungsgeschäfte ein, regierte selbstherrlich, ganz wie wir es aus jüngster Landesgeschichte her kennen.
Ich laufe um die Markhalle herum und erreiche die Münzgasse, vis-à-vis vom Breuninger. Derzeit wird alles abgerissen, um die Erweiterung des Breuninger-Kaufhauses zu ermöglichen. Auch das Hotel Silber, die ehemalig Gestapo-Zentrale, soll mit eingebunden werden. In der Münzgasse stand vor 250 Jahren die staatliche Münze, die Joseph Oppenheimer pachtete. Nicht unbedingt um Gewinn zu machen, eher schon um Ansehen und Einfluss zu erlangen. Er war auf allen nur denkbaren Gebieten tätig: Er gründete eine Tabak-, Seiden- und Porzellanmanufaktur, errichtete und betrieb eigenständig die erste Bank Württembergs. Mit Unterstützung des Herzogs setzte er die Besteuerung der Beamtenbezüge durch. Ganz großer Fehler, wie sich am Ende seines Lebens zeigt. Und immer wieder Handel: mit Edelsteinen, Edelmetallen, da kam ihm die Münze gerade recht. Einfluss gewann er auch indem er gegen hohe Gebühren Handelsrechte für Salz, Leder und Wein an Juden vergab. Kurz, einer des es verstand, sich Neider zu schaffen.
Die Stadt Stuttgart hat zu „Ehren“ dieses Geschäftsmannes einen Platz benannt. Geht man über diesen zugigen Platz, gleich hinter Karstadt eingezwängt, beschleicht einen die Vorstellung, die Stadt hat mit der Namensgebung für diesen unwirtlichen Platz dem Namenspatron noch einmal eins ausgewischt: Eine Tiefgaragenzufahrt dominiert den Zugang zum Platz, allüberall versiegelter Boden, Sitzgelegenheiten – Fehlanzeige. Wer will sich hier aufhalten. Nur weiter!
Die Häuser der Stände, in dem Herzog Karl Alexander seinen Eid schwören musste, stand in der Kronprinzstraße, Ecke Kienestraße gleich nebeneinander: das Gebäude der Ersten Kammer (Kammer der Standesherren) und das Gebäude der Zweiten Kammer (der Abgeordneten) mit dem Halbmondsaal. Dort sprach Karl Alexander die Eidesformel mit leiernder, gelangweilter Stimme. Er tat alles, um die „Ehrbarkeit“ gegen sich aufzubringen. Als er dann auch noch die von Oppenheimer vorgeschlagenen Maßnahmen und Reformen in absolutistischer Machtvollkommenheit, ohne die Zustimmung der protestantischen Württembergischen Landstände durchsetzte, mussten sie auf Rache sinnen. Immerhin gab der Tübinger Vertrag, der auch als württembergische Verfassung galt, der Ehrbarkeit das Recht der Steuerbewilligung. Vor dem Hintergrund dieser politischen und konfessionellen Spannungen weckten Oppenheimers erfolgreiche Staatssanierung, sein Wohlstand und seine rigide Geld- und Steuerpolitik bei vielen Landesbeamten und Bürgern Neid, Hass und antijüdische Ressentiments. 280 Jahre später hat wieder ein Landesfürst am Parlament vorbei seine großen Geldgeschäfte gemacht. Auch er zog den Hass der Bürgerschaft auf sich.
Das Ende: Prozess und Hinrichtung von Joseph Süß Oppenheimer
Auf dem Stuttgarter Rathausplatz komme ich zum „Ende von Oppenheimer“. Am 12. März 1737 starb Herzog Karl Alexander, noch am gleichen Tag wurde der verhasste Jude verhaftet und man machte ihm den Prozess. Diese Stadt hat eine lange Tradition in der Verfolgung politischer Querschädel. Die Staatsanwaltschaft des Landgerichtes hat sich in den letzten drei Jahren in diesem Punkt wieder unrühmlich hervorgetan. Kritiker politisch gewollter Prestigeprojekten werden schon mal deutlich rigoroser auf die Anklagebank gezerrt als die, die ihnen bei ihren Protestaktionen eins auf die Mütze gehauen haben.
Gleich nach seiner Verhaftung wurde sein gesamtes Personal verhaftet, die Wohnung versiegelt, das Vermögen konfisziert, private und geschäftliche Schriftstücke beschlagnahmt. Schon ein halbes Jahr vor seiner Verurteilung wurde sein Vermögen versteigert und so der Staatskasse wieder zurückgegeben. Wessen klagte man ihn aber an? Es waren:
Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Beraubung der staatlichen Kassen, Amtshandel, Bestechlichkeit, Schändung der protestantischen Religion und sexuellen Umgang mit Christinnen. Am 9. Januar 1738 erging das Todesurteil. Beweise lagen für keinen der auf alten antijüdischen Klischees beruhenden Anklagepunkte vor, auf Benennung von Straftaten oder auf eine Begründung wurde bei der Urteilsverkündung verzichtet.
Man stellte Joseph Süß Oppenheimer in einem rot gestrichenen Käfig zur Schau und versprach ihn zu begnadigen, falls er zum Christentum übertrete. Er lehnte ab. Am 4. Februar 1738 wurde er von dem Sohn eines Scharfrichters aus Straßburg mit einem Strick erdrosselt. Die Württemberger wollten diesen Akt nicht selber ausführen. Eine große Menschenmenge fand sich ein, um diesem Schauspiel beizuwohnen. Heute liegt der Südeingang zum Pragfriedhof an der Hinrichtungsstelle. Oppenheimers Leichnam wurde sechs Jahre lang (!) in dem eisernen Käfig öffentlich zur Schau gestellt, erst 1744 ließ ihn Herzog Carl Eugen bei seinem Regierungsantritt abhängen und verscharren. Über diese Grausamkeit dachte ich nach, als ich die Berichte von den Tötungen der IS las und wie man auch heute die schmutzigen Geschäfte von anderen ausführen lässt.
Die Prozessakten bieten wieder eine gute Parallele zur Gegenwart: Bis 1918 waren die 7,5 Regalmeter Prozessakten geheim. Seit 1918 ist der Aktenbestand im Staatsarchiv Stuttgart frei zugänglich. Sie umfassen eine akribische Dokumentation jedes möglichen Verdachtsmomentes und aller Verhörprotokolle. Ziel der Ankläger war die Beweisführung, dass Oppenheimer der böse Ratgeber des Herzogs Karl Alexander gewesen sein musste, den Herzog keine Schuld traf. Dazu waren alle Mittel recht, so zum Beispiel die Aufforderung der Denunziation, die öffentlich verlesen und an den Rathäusern in ganz Württemberg ausgehängt wurde. Selbst die Versteigerungserlöse wurden bis auf Heller und Pfennig aufgeführt. Die deutsche Justiz ist wahrlich gründlich.
Ein Spaziergang geht zu Ende, der meinen Blick für geschichtliche Zusammenhänge geschärft hat. Wer diesen Weg nachgehen möchte, wende sich vertrauensvoll an:
Literatur-Spaziergänge Hahn, Kusiek & Laing. Ihre Internetpräsentation: Litspaz.de