Elsternest

Robert Seethaler im Buchcafé

Robert Seethaler
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Das Schriftstellerhaus und der Börsenverein hatten Robert Seethaler am 25. November im Rahmen der Stuttgarter Buchwochen zu einer Lesung ins Buchcafé eingeladen. Astrid Braun, Geschäftsführerin des Schriftstellerhauses, kennt Robert gut, 2008 war er Stipendiat in eben diesem Haus. Es war eines von vielen Stipendien, die er erhielt. Aus den einleitenden Worten von Astrid Braun schwang deutlich Stolz mit, dass das Schriftstellerhaus mal wieder einen Autor am Beginn seines literarischen Weges entdeckt und gefördert hat, der in diesem Jahr seinen 5. Roman vorlegte. Es entstand sofort ein Gespräch in freundschaftlicher Atmosphäre, die den Abend trug.
Robert Seethaler, 1966 in Wien geboren, wurde 2007 für seinen Roman »Die Biene und der Kurt« mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. Als Fernsehschauspieler habe ich Robert Seethaler vor kurzem als Pathologe Dr. Kreissler in der ZDF-Krimiserie „Ein starkes Team“ gesehen. Er hat Bühnenengagements und schreibt Drehbücher. Der Film, nach seinem Drehbuch, „Die zweite Frau“ wurde mehrfach ausgezeichnet und lief auf verschiedenen internationalen Filmfestivals.
An diesem Abend las er aus seinem neuen Roman „Ein ganzes Leben“. Im Mittelpunkt steht Andreas Egger, der in einem einsamen Bergtal in Österreich als Hilfsknecht lebt und den Einzug der Moderne in dieses Tal miterlebt. Robert Seethaler beginnt seine Lesung mit dem ersten Kapitel, in dem er schildert, wie Andreas Egger den zum Tode Geweihten alten Ziegenhirten „Hörnerhannes“ aus seiner Hütte zu retten versucht. Er schnallt ihn sich in einer Kraxe auf den Rücken, will den alten Hirten hinunter ins Dorf schleppen. Bei einer Rast entsteigt der Hörnerhannes dem Traggestell und läuft in den Schneesturm. Obwohl Andreas ihm hinterstapft, erreicht er ihn nicht. Der Alte verschwindet hochsymbolisch im Nebel wie ein Gespenst, ist weg und kommt nicht wieder.
Kapitel um Kapitel las Robert Seethaler in seiner ruhigen und besonnen Art, den Text mit knappen Gesten unterstreichend. Wir erfuhren im Laufe des Abends, wie Andreas Egger eine zarte Liebesgeschichte zu Marie erlebt, die als Bedienung in der Dorfwirtschaft arbeitet und sein aufrichtiges Wesen schätzt. Reden kann der Andreas nicht gut. Kräftig ist er aber er hat auch ein Handicap: er hinkt. Eine Verletzung aus der Kindheit. Die Kinder im Dorf rufen ihn Hinkebein. Marie, die Liebe seines Lebens verliert er. Erst viele Jahre später, als Egger seinen letzten Weg antritt, ist sie noch einmal bei ihm.
Die Moderne kommt durch das Bauunternehmen Bittermann & Söhne ins Tal. Seine Arbeiter errichten eine Seilbahn. Andreas Egger verdingt sich bei der Baufirma als Baumfäller und bejubelt die neue Zeit: die Elektrizität erobert das Tal und Ende der fünfziger Jahre kommt das Fernsehen, zuerst in der Gaststube „Ganser“. All das verändert die Lebenssituationen der Menschen.
Es ist eine einfache und tief bewegende Geschichte. So lautete auch lange der Arbeitstitel: Eine einfache Geschichte. Robert Seethaler berichtete, wie schwer es ihm fällt, zu schreiben. Die Figuren müsse er sich förmlich aus dem Herzen herausschnitzen. Einen Plan, einen Plot hat er zu Anfang seines Schreibprozesses nicht. Er liebt seine Figuren und vertraut darauf, dass sie ihm seine Geschichte anvertrauen. Dabei bleiben Details im Dunklen: Er könne nicht beschreiben, wie Andreas Egger aussieht, ob er dick oder dürr, groß oder klein sei. An Äußerlichkeiten ist Seethaler nicht sonderlich interessiert. Und doch erschienen die Figuren lebendig vor dem geistigen Auge des Zuhörers. Es geht ihm mehr um Charaktere, um zwischenmenschliche Beziehungen und wie die äußere Welt auf die Figuren einwirkt. Seine kleinen Sätze haben große Bedeutung, so wie dieser: „Liebe und schön fallen nicht immer zusammen“.

Robert Seethaler und Astrid Braun im GesprächEin ganzes Leben
gebunden, 160 Seiten, 17,90 €
Verlag: Hanser Berlin
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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