Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft, so heißt der Film, der uns in den Maschinenraum eines großen Verlages blicken lässt. Er bringt das Ringen um Worte auf die Leinwand, stellt es als Kampf zweier Männer dar, die unterschiedlicher nicht sein können: Der Lektor Max Perkins und der in der ersten Begegnung noch völlig unbekannte amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe. Dieser Lektor war gewissermaßen der Geburtshelfer einiger der wichtigsten Werke der amerikanischen Literatur. Alles das spielt Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts in einem New Yorker Verlag.
Die zentrale Botschaft des Films wird von ihm selber nicht eingelöst
Die zentrale Botschaft des Films, ein ausuferndes Romanmanuskript durch Streichungen zu einem Meisterwerk zu machen, haben der britische Regisseur Michael Grandage und sein Drehbuchautor John Logan leider in dem Film nicht selber beherzigt. Sonst wäre nicht ein Film entstanden, der sich über weite Strecken in die Länge zieht und man sich ein ums andere Mal fragt, warum muss er das denn nun auch noch zeigen? Hättes es nicht bei einer zarten Andeutung bleiben können? Die kurzen Szenen mit Ernest Hemmingway, der auch mit dem Lektor Max Perkins gearbeitet hatte, ebenso wie die Szenen mit dem gebrochenen Francis Scott Fitzgerald hätten der Philosophie des Max Perkins zum Opfer fallen müssen: Streichen, streichen, streichen.
Genius ist redundant und geschwätzig
So sieht man ein ums andere Mal, wie Max Perkins mit seinem Bleistift Stellen aus dem Manuskript herausstreicht. Er macht es langsam und überlegt. Der Schriftsteller Thomas Wolfe streicht, nachdem er das Prinzip einmal von seinem väterlichen Freund zu schätzen gelernt hat, hemmungslos in seinem fünftausendseitigen Manuskript. Er nimmt gleich einen Rotstift zur Hand. Das ist ein Beispiel, wie der Film nicht nur Dinge erzählt, andeutet sondern auch noch dramatisch zeigt und somit redundant und geschwätzig wird: Das Manuskript zu seinem zweiten Buch, nachdem sein erster Roman durch die Eingriffe des Lektors zu einem Verkaufsschlager wurde, bringt er nicht als Stapel maschinengeschriebener Blätter an. Nein in einigen groben Holzkisten lässt er seine handgeschriebenen Manuskriptstapel in das Büro von Max Perkins schleppen, um ihm mit theatralischen Gesten sein neues Werk zu präsentieren. Das wird dann sogleich von fleißigen Sekretärinnen wie am Fließband abgetippt, um vom Lektor bearbeitet werden zu können.
In ähnlicher Art und Weise werden in dem Film von Michael Grandage und John Logan die Frauen durchweg dargestellt: Liebevoll versorgt Perkins‘ Ehefrau Mann und vier Töchter und klagt nur hin und wieder, dass der Lektor zu wenig Zeit für die Familie habe. Nicole Kidman als Thomas Wolfes Geliebte Aline Bernstein spielt eine Frau mit Haaren auf den Zähnen, neurotisch, eitel, eifersüchtig. Schwarze Nutten an der Bar eines Jazzkellers wackeln mit ihren dicken Hintern und werfen laszive Blicke in Richtung des schmalzlockigen Jungautors.
Welche Geschichte soll erzählt werden?
Der Film krankt daran, dass er sich nicht entscheiden kann, welche Geschichte er uns erzählen will. (Die erste, treffende Frage, die der erfahrene Lektor seinem neuen Zögling stellt.) Der Film will Charakterstudie und Milieustudie zugleich sein. Überdeutlich wird jede Emotion ins Bild gesetzt, der sich herausbildende Konflikt zwischen dem souveränen Perkins und dem labilen Wolfe ohne filmische Idee in Szene gesetzt. Es herrschen die steril ausgeleuchteten sepiabraunen Farben des amerikanischen Kostümkinos vor: Straßen, Autos, Kleider und Möbel werden nicht als zeitgenössische Selbstverständlichkeit inszeniert, sondern sind mit dem dicken Pinsel gemalt und wirken wie aus einem Museum in die Kulisse gestellt. Der Lektor immer penibel angezogen, stets mit Hut (selbst noch im Schlafanzug), der Autor lässig mit schief sitzender Krawatten mit stets dreckigen Fingernägeln. Dabei bleibt der historische Kontext verschwommen: Das Politische oder das Soziale spielen bei diesem im Börsencrashjahr beginnenden Film so gut wie keine Rolle. Eine Schlange Arbeitsloser an der dampfenden (!) Suppenküche wird von der Kamera nur im Hintergrund gezeigt vor denen das allgegenwärtige Schriftstellergenie Thomas Wolfe einherschreitet. Der gesamte Film wurde pikanter Weise in Großbritannien gedreht. (Amerikanisch/britische Produktion.)
Der britische Theaterregisseur Michael Grandage war bei seinem Filmdebüt nicht gut beraten, das das Buch Max Perkins: Editor of Genius von A. Scott Berg durch den amerikanischen Drehbuchautor John Logan bearbeiten zu lassen. John Logan ist auf Historienschinken und opulente Filme abonniert, in denen man es so richtig krachen lassen kann: „Gladiator“,“ Sinbad – Der Herr der sieben Meere“, „Last Samurai“ „Aviator“, „Hugo Cabret“ und zwei James Bond Filme. Dieser Autor hat sich die Maxime des Lektors Max Perkins nicht zu Herzen genommen: Streichen, streichen, streichen.
Die beiden im Film behandelten Romane von Thomas Wolfe heißen:
- Schau heimwärts, Engel. Eine Geschichte vom begrabenen Leben (Look Homeward, Angel. A Story of the Buried Life 1929). Als Taschenbuch bei Rowohlt hat es 720 Seiten
- Von Zeit und Fluss. Legende vom Hunger des Menschen in seiner Jugend (Of time and the river) in Neuübersetzung von 2014 im Manesse Verlag, ca. 1.100 Seiten Manesse Verlag, ca. 1.100 Seiten.
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