Der Autor Harro Zimmermann war am 26. Januar zu Gast im Schriftstellerhaus. Sein neues Werk ist die Biographie eines glänzenden Stilisten und bedeutenden konservativen Literaturkritikers der frühen Bundesrepublik: Friedrich Sieburg. Aber schon bei dieser Beschreibung erhitzte sich die Diskussion im Schriftstellerhaus. Die Urteile einiger geachteten literarischen Persönlichkeiten waren nicht zimperlich:
„ … die größte, stinkende Kanalratte.“ (Alfred Andersch)
„Ein Letterngefräßiger, Formsüchtiger, Fabelverliebter.“ (Fritz J. Raddatz)
„ … ein großer Lump, … ein Arschloch.“(Arno Schmidt)
Aber auch Bewunderung wurde ihm immer wieder entgegengebracht:
„Der große Sieburg, … der verehrteste Deuter des Traditionellen wie des Zukünftigen.“ (Gottfried Benn)
„Ein Weltjournalist mit angenehmer Leichtigkeit.“ (Ernst Jünger)
Er hat sich als Nazikollaborateur durch den Faschismus gebracht. War im auswärtigen Dienst und auch sein Autobiograf attestiert ihm menschlich eher zweifelhafte Eigenschaften, sowohl als Pariser Korrespondent für die „Frankfurter Zeitung“ (FZ) (seit 1926), als auch als Mitglied des Auswärtigen Amtes während der Besatzung Frankreichs. Vier Ehefrauen hat er verschlissen, von einer weiß man aus ihren Tagebüchern von seinen sadomasochistischen Neigungen.
Zahlreichen deutschen Emigranten in Paris konnten nach 1933 keine Hilfe von dem FZ- Korrespondenten erwarten, der mondän-herablassend auftrat. Wenn sein Biograf auch viele seiner Eskapaden relativiert, das kreidet er ihm an.
Friedrich Sieburg – Kollaborateur des Nazi-Regimes
Der frühere Friedrich Sieburg-Freund Kurt Tucholsky schrieb über ihn:
„Ein Talent, doch kein Charakter. Die Franzosen glauben es ihm nicht mehr. Er soll Botschafter werden. Und uns in Ruhe lassen“.
Und so kam es: 1939 wird der Ex-Journalist Botschaftsrat für das Ribbentropsche Außenamt in Brüssel und Paris. Damit gehörte er zur Elite-Formation des deutschen Besatzungspersonals. Ihm obliegt die Vermittlungsarbeit für die Nazipropaganda in Frankreich. Er ist sich nicht zu schade, gegen Heinrich Heine antisemitisch zu polemisieren.
Friedrich Sieburg erlebte das Kriegsende in der französischen Besatzungszone und wurde umgehend mit einem Publikationsverbot belegt, das bis 1948 andauerte. 1948 begann seine Rehabilitation. Er wurde er Mitarbeiter der Wochenzeitschrift Die Gegenwart, seit 1949 auch ihr Mitherausgeber. Seit 1956 arbeitete er für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, er war bis zu seinem Tode einer der bedeutendsten Zeit- und Literaturkritiker Deutschlands. Friedrich Sieburg war rehabilitiert. Ironie der Geschichte: der von den Nazis verfolgte Marcel Reich-Ranicki folgte ihm auf diesem Posten.
Vom Mitläufer der Nazis zur einflussreichen Persönlichkeit der Adenauerära
Friedrich Sieburg unterstützte die Regierung Adenauer. Er war ein vehementer Gegner der Nachkriegsliteratur: Zur Gruppe 47 stand er in heftiger Opposition, kritisierte ihren Versuch eines Neuanfangs nach dem Untergang des Faschismus mehrfach in scharfer bis polemischer Form.
Baden-Württemberg ernannte Sieburg 1953 zum Professor und er wurde Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. In meinen Augen ein weiterer Skandal in der jungen Demokratie: Nicht nur Juristen, Politiker und Militärs fassten wieder Fuß in der neuen Bundesrepublik sondern auch Propagandisten des faschistischen Regimes kamen in Schlüsselstellungen der Meinungsführerschaft. Es ist ein schier unendliches Kapitel der Nichtbestrafung und Rehabilitation der Täter in der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie. Mit diesem intellektuellen Stilisten wird eine weitere Seite aufgeschlagen.
Mit Friedrich Sieburg vollendete Harro Zimmermann seine Trilogie über Persönlichkeiten des deutschen Konservativismus. Er hat über Friedrich Schlegel und Friedrich Gentz geschrieben, nun der „dritte Friedrich“. Warum der deutsche Literaturwissenschaftler, Publizist und Rundfunkredakteur, der zur Zeit der Aufbruchstimmung der Achtundsechziger studierte und heute Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland ist, sich so ausführlich mit dem konservativen Denken beschäftigt, bleibt mir rätselhaft.
Die Literaturredakteurin Silke Behl von Radio Bremen hat im August 2015 mit Harro Zimmermann über sein Buch gesprochen. In weiten Teilen breitet er seine Gedanken zu Friedrich Zimmermann in dem Interview so aus, wie er es im Schriftstellerhaus getan hat.
Friedrich Sieburg – Ästhet und Provokateur
Eine Biographie
488 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Wallstein Verlag, Preis: 34,90 €
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