Elsternest

Heinrich Steinfest kommt nicht mit dem Chauffeur

Lesen und signieren in Corona-Zeiten: Heinrich Steinfest
Lesen und signieren in Corona-Zeiten

 

Es scheint, als sei alles wie immer, als Heinrich Steinfest am 23. September im Literaturhaus Stuttgart liest: Die Begrüßung spricht Stephanie Stegmann, die Moderation hat wieder der Bewunderer seines Werkes, Denis Scheck, übernommen und der Lesesound des in Wien aufgewachsenen Autors, Heinrich Steinfest, verzaubert die Zuhörerschaft. Aber es ist keine Lesung in gewöhnlichen Zeiten, es herrscht die Corona-Pandemie, die auch das Literaturhaus dazu zwingt, die Zuschauer auf Abstand zueinander zu halten. So ist der sonst bis auf den letzten Platz besetze Raum an diesem Abend nur lückenhaft besetzt. Die Welt ist nicht in Ordnung, ganz im Gegensatz zu der des steinfesten Helden im seinem neuen Roman Der Chauffeur.

Ein Chauffeur wird zum Hotelier

Dort herrscht Übersicht und Präzision. Aber das Leben hält keine Garantie für unendliche Ordnung bereit, genau wie an diesem Abend im Literaturhaus: Nach einem schweren Autounfall und einer nicht minder schweren Fehlentscheidung beschließt Paul Klee, ein kleines Hotel ganz nach seinen Vorstellungen zu führen. Und das Glück will es, dass er sich in die Maklerin Inoue verliebt. Also planen sie das Haus gemeinsam, von den Zimmern bis zur Bar, von den Sesseln bis zum Frühstück. Aber Klees ideale Welt zerbricht ein zweites Mal – und er entschließt sich zu einem für ihn sehr überraschenden Schritt. Das jedenfalls verspricht der Klappentext. Und wer mit den Romanen des Stuttgarter Schriftstellers Heinrich Steinfest vertraut ist, der ahnt, was auf ihn zukommt und ist entzückt, den Autor wieder einmal lesen zu hören.

Lesung Heinrich Steinfest
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Trotz eines berühmten Namens künstlerisch ein Niete

Schon der Name, Paul Klee, ist eines von Steinfest so hintersinnig ausgedachten Details. Seine Eltern, Klee, nannten ihren Sohn Paul, weil sie es chic fanden, dem Familiennamen aus vier Buchstaben, einen Vornamen, ebenso mit vier Buchstaben, voran zu stellen. Keine gute Entscheidung, wie Paul Klee in der Schule erfährt: der Bub muss aufgrund seines Namens viel Spott aushalten, da er trotz dieses berühmten Namens keinerlei künstlerische Begabung besitzt. Als Erwachsener ergreift er den Beruf eines Chauffeurs und fährt einen hohen Politiker. Unschwer ist Friedrich Merz als Vorlage für die Romanfigur Rehberg zu erkennen. Als Paul Klee in einen Unfall verwickelt wird, bei dem ein kleines Kind stirbt, muss er den Posten aufgeben. Von der hohen Abfindung kauft er sich mit seiner Frau namens Inoue Sander (Mathematikerin und evangelische Theologin!) ein Hotel und baut es zu einem Gesamtkunstwerk in Perfektion aus. Über einen Gast, einen ehemaligen Kommissar, schleicht sich so etwas wie ein Fall in die Geschichte. Aber wer die Kriminalromane von Heinrich Steinfest kennt, (Cheng-Reihe) weiß, dass es alles andere als ein klassischer Kriminalroman ist, den der Leser in Händen hält. Er mischt in seine Geschichte die Landung der Weltraumhündin Laika auf einer Wiese in Süddeutschland ebenso leichthändig, wie ein frühreifes Zwillingspaar oder der irrwitzige Umstand, dass Paul Klee sich standhaft weigert, in der Hotelbar Cocktails zu mischen.

Heinrich Steinfest stoßen die Geschichten zu

Lesung 2. Teil
Lesung 2. Teil

Wie er denn immer wieder zu diesen irrwitzigen Romanideen komme, will Denis Scheck wissen. „Die Geschichten stoßen mir zu“, antwortet Heinrich Steinfest in seiner lockeren Art ohne Hintergedanken. Da möchte man mit ihm doch öfters durch Stuttgart streifen, um ähnlich skurrile Geschichten zu erleben. Natürlich fehlt – wie in vielen Romanen – auch hier nicht ein kleiner Seitenhieb auf den neuen Bahnhofsbau, der schon im Mittelpunkt eines eigenen Romans gestanden hat und von dem man meinen könnte, er sei dem irrwitzigen Kosmos des Werkes von Steinfest entsprungen. Da viele Dinge immer wieder in den Romanen von Heinrich Steinfest verstrickt sind, hat er diesen Roman gleich in vier Teile gegliedert, die er Fäden nennt.
Eine, nur eine, Fußnote darf nicht fehlen

 

Nur eine Fußnote

Noch eine Besonderheit deckt Denis Scheck im Romanwerk Heinrich Steinfests auf: In jedem seiner Werke gibt es genau eine Fußnote. Und wie unter einem Brennglas findet sich in dieser Fußnote der Stil und die Fabulierkunst des Heinrich Steinfest:

„Es gehört zu den Unklarheiten in dieser Geschichte, welche Biersorte genau Felix Pointner bestellt, aber es dürfte sich um ein sogenanntes Schnaitl Original, ein untergäriges, strohgelbes Märzenbier gehandelt haben. Das ist natürlich unwichtig, anderseits weiß niemand genau, wie bedeutungsvoll oder bedeutungslos diverse Details einer Geschichte sind, wie sehr ein solches Detail gleich einem winzigen Tropfen Blut, der in eine Flüssigkeit gerät, eine Verunreinigung, vielleicht aber auch eine Veredelung bewirkt.“

Ich bin wohl der einzige, der einen Roman mit zwei Fußnoten von ihm sein eigen nennen darf, denn Heinrich hat als Fußnote vor „Lerche“ in der Widmung noch ein „die“ gesetzt.

Der Chauffeur
368 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Piper, Preis 22 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens.

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