In seinem 60. Lebensjahr weilte der Berliner Autor Michael Wildenhain als Stipendiat im Schriftstellerhaus. In seinem Bewerbungstext schrieb er: er wolle in Stuttgart für seinen neuen Roman recherchieren, in das es seinen Protagonisten getrieben hat. Nun hat vor ein paar Tagen dieser Held den Buchmarkt betreten und Michael Wildenhain stellte am 24. September in der Stadtbibliothek Stuttgart ihn in seinem Roman Die Erfindung der Null vor. Astrid Braun, GF des Schriftstellerhauses, gratulierte dem ehemaligen Stipendiaten zu seinem neuen Roman und freute sich außerordentlich, dass die Premierenlesung in Stuttgart stattfindet, wo Michael Wildenhain intensiv in den drei Monaten seines Aufenthaltes recherchiert hatte.
Michael Wildenheinhat ein umfangreiches Œuvre geschaffen
Moderator Stefan Kister, Kulturredakteur der Stuttgarter Zeitung, nimmt das umfangreiche Œuvre Wildenhains in den Blick: Neben dem Prosawerk entstanden zahlreiche Theatertexte, Gedichte, Kinder- und Jugendbücher, bis hin zu Kriminalromanen und Science Fiction. Den Schwerpunkt aber bilden die Romane. Wildenhains Romanfiguren sind oft durch eine charakteristische Zerrissenheit gekennzeichnet: Sie agieren aus persönlichem Begehren und zugleich als Akteure innerhalb eines gesellschaftlichen Geschehens. Sein Image als hausbesetzender Schriftsteller hat er längst abgelegt.
Das „Häusle“ in der Kanalstraße 4 wird zum Nachhilfe-Institut
In seinem neuen Roman „Die Erfindung der Null“ wird das schmale Schriftstellerhaus am Eingang zum mathematischen Nachhilfeinstitut. In das hat sich der Protagonist, Martin Gödeler, zurückgezogen. Wie es dazu kam, ist einer der Erzählstränge des Romans. Wem bei dem Namen Gödeler an den großen österreichischen Mathematikers Kurt Gödel wegen des gleich klingenden Namens denkt, hat in Mathematik aufgepasst. Man muss zur Mathematik kein besonders intimes Verhältnis pflegen, um ein Lesevergnügen empfinden zu können, das wird durch die Lesungen an diesem Abend klar. Man sollte sich auch von den mathematischen Überschriften: Induktionsannahme, Induktionsschritt, Zwischenergebnis, Gegenprobe, Lemma nicht ins Bockshorn jagen lassen. In weiten Teilen folgt der Roman den Strukturen des klassischen Kriminalromans und in der Tat beginnt der Roman mit einem Verbrechen. Aber auch Gattungen von Ehe-, Wissenschafts-, Gesellschaftsroman werden eingewoben, immer entlang einer mathematischen Beweisführung. Michael Wildenhain kann über mathematische Themen schreiben. Er ist durch sein Studium der Mathematik, Informatik und Philosophie bestens dafür gerüstet.
„Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“ *1)
In Südfrankreich ist ein junge Frau verschollen. Die französische Polizei gibt den Fall an die deutschen Behörden ab. Die Frau hatte mit Martin Gödeler ein Hotelzimmer bewohnt. Schnell gerät Martin Gödeler in den Verdacht, während des Urlaubs in Südfrankreich seine verschollene Geliebte umgebracht zu haben. Ein junge Staatsanwalt macht sich auf die Suche nach der Wahrheit und versucht durch die penible Rekonstruktion des Geschehens Martin Gödeler zu überführen.
Wie so häufig in seinen Romanen arbeitet sich Wildenhain auch in diesem Roman an der Absolutheit der Figuren ab. In diesem Roman ist es die Obsession an die Mathematik. Wie fühlt es sich an, sein Leben in den Dienst einer Sache zu stellen? Der Eros der Zahlen kann nicht lange von Frau und Kind gebändigt werden. Die Affäre mit einer genialen Kollegin eröffnet ihm nicht nur infiniten Lustgewinn, sondern auch Einsichten in den Zusammenhang von Politik und Mathematik. Sie ist Mitglied einer antifaschistischen Widerstandsgruppe gegen die drohende völkische Revolte.
Darüber zerbricht Martin Gödeler und zieht sich in eine schäbige Souterrainwohnung in der Hohenheimer Straße in Stuttgart zurück und gibt in besagtem Haus in der Kanalstraße 4 Nachhilfeunterricht in Mathematik. Dass einige Szenen, die Wildenhain an diesem Abend liest, auch im Klara-Zetkin-Heim spielen, freut mich besonders, vor 25 Jahren feierte ich hier meine Hochzeit.
Ich freue mich auf die Lektüre diese Romans, dessen erste Schritte ich im Schriftstellerhaus begleiten durfte.
Die Erfindung der Null
303 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Klett-Cotta, Preis: 22 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens.
*1) Zitat von Buffalo Bill, als Motto dem Buch vorangestellt