Endlich öffnen die Kultureinrichtungen wieder ihre Tore. Nach monatelangen Streams im Netz treten Künstler wieder vor ihr Publikum. Das Juniwetter ist ideal für Konzerte unter freiem Himmel.
Mein erstes Konzert nach dieser Wanderung durch die Kulturwüste spielt Heinz Ratz mit seiner Band Strom & Wasser. Schon häufiger habe ich Heinz Ratz in Stuttgart erlebt (hier und hier) und jedes Mal höre ich von ihm neue Lieder. Er ist ungeheuer produktiv. Er komponiert und textet nicht nur Lieder sondern veröffentlicht auch in regelmäßigen Abständen Sammlungen mit kurzer Prosa und natürlich auch Lyrik, meistens seine Songtexte.
Kreativ wie er ist, hat er ein neues Projekt in Zeiten von Corona aufgelegt
Viel Wertvolles geht ja zur Zeit in Hysterie und belanglosem Social-Media-Geschwätz unter. Doch Heinz Ratz geht los um die kleinen schillernden Geschichten und Gedanken aufzusammeln, denen er auf seiner Entdeckungstour begegnet. Er ist losgelaufen, Stadt zu Stadt, um diese Geschichten einsammeln. Einsame Wanderung sind vor allem eine Begegnung mit sich selber. Deswegen wählte er den Titel Der Weg nach Innen.
Er ist komplett pleite, als er losläuft, beginnend in Schleswig-Holstein. Und da auf absehbare Zeit für einen, dessen Einkommen zu 100% von Liveauftritten abhängt, sich am Pleitesein nichts ändern wird, konnte man ihn mit mit Kilometergroschent unterstützen. Im Crowdfunding ist Heinz Ratz schon immer sehr erfolgreich gewesen.
Ein umgebauter Pritschenwagen wird zur rollenden Bühne
Sein zweites Projekt hat er ebenfalls mit Crowdfunding finanziert. Er hat einen alten Mercedes Pritschenwagen zu einem „Lümmel“ umgebaut, einer „Liedermacher Überlebensbühne“. Die Idee dahinter: Mit dieser mobilen Bühne wollte er z. B. vor Altenheimen spielen. Die Bürokratie hat ihm leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun nutzt er ihn für seine erste Tournee nach dem neuerlichen Corona Lookdown. In einer seiner Zwischenmoderationen verrät Heinz Ratz, dass Kunst für die Verzweifelten da sei. Bei ihm hat man auch nach der langen Durststrecke nicht den Eindruck, er sei verzweifelt. Außerdem hat er die Zeit genutzt, zwei neue CD einzuspielen, von denen er an diesem Abend einige Lieder mit seiner grunderneuerten Band spiel. Er hat sich wieder junge Profis an Bord geholt:
Die drei zeichnen sich durch hohe Virtuosität aus und kleiden die Songs von Heinz Ratz in melodisch ganz unterschiedliche Kleider: Vom Reggae, über Ska-Klänge, Blues bis hin zu Walzertakten.
Ein Grundmotiv, das Heinz Ratz seit langem umtreibt, ist die „Lieblosigkeit und Verhärtung der Gesellschaft“, gepaart mit der Sorge um die Zukunft der nächsten Generation. Die Forderung nach einem sozialeren und rücksichtsvollerem Umgang miteinander durchzieht auch „Blütezeit der Idiotie“, Titelsong seiner letzten CD (Besprechung hier), den er auch an diesem Abend im Kulturwerk spielt.