Elsternest

Inge Lohmark und der Glaube

Inge Lohmark und der Glaube
Die drei Stadtpfarrer diskutieren in der Hospitalkirche über Inge Lohmark: Christoph Hildebrandt-Ayasse, Eberhard Schwarz, Matthias Vosseler (v.l.n.r.)

 

Gibt es für Inge Lohmark einen Glauben? Das fragte sich das Pfarrertrio der evangelischen Stadtkirchen am 21.05. in der Hospitalkirche. Der Hospitalhof hatte den Pfarrer der Leonardskirche, Christoph Hildebrandt-Ayasse, den der Stiftskirche, Matthias Vosseler, und seinen eigenen, Eberhard Schwarz, gebeten, einen theologischen Streifzug durch das Buch „Der Hals der Giraffe“ zu unternehmen. Man spürte gleich, diese Pfarrer hatten sich intensiv mit dem Buch beschäftigt und stehen als Seelsorger der städtischen Kerngemeinden mit beiden Füßen im Leben. Theologische Spitzfindigkeiten brachten die drei nicht zur Sprache, wohl aber die Bezüge zu ihrem Glaubensgebäude, das so scheinbar gar nicht im Buch vorzukommen schein. Drei wesentliche Aspekte nahm Pfarrer Schwarz in den Blick: Das Verhältnis von Schöpfung und Evolution, die deutsch-deutsche Geschichte und den Themenbereich Wunder, Trost und Hoffnung.

Mit der lyrischen Sprache der polnischen Nobelpreisautorin Wislawa Szymborska setzte er einen Kontrapunkt zu der, wie er meinte, teils schwer zu ertragende Sprache des Buches. Der Titel des Gedichtes passte: „Trost“.

Die modernen Wissenschaften und die Bibel

Martin Vosseler verriet, Biologie hätte nie zu seinen Lieblingsfächern in der Schule gezählt. Trotzdem hat die Naturgeschichte einen festen Platz auf seinem Schreibtisch in Gestalt eines Ammoniten. Seine Eltern fanden ihn beim Hausbau in Trossingen. In Trossingen findet man nicht nur die Versteinerung der Kopffüßer sondern der Ort ist berühmt für seine großartigen Funde von Dinosauriern. Da war er schnell bei der Frage, wo kommen wir her, wie ist die Welt entstanden. Fragen, die auch Inge Lohmark umtreiben.

Als Religionslehrer am Gymnasium hat er seine Schüler zu den Unterschieden und den Übereinstimmungen von Schöpfungsgeschichte und modernen Wissenschaften gefragt. Der biblische Schöpfungsbericht ist ein mythologisches Bild, das, wie die Schülerinnen und Schüler ausführten, nicht immer im Widerspruch zu den Wissenschaften steht, denen Inge Lohmark verhaftet ist.

Inge Lohmark zwischen DDR und Bundesrepublik

Pfarrer Christoph Hildebrandt-Ayasse ging auf das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR und die Auswirkungen einer Staatsideologie auf den Glauben ein. Als Gegenpol zur Bibel wurde den Jugendlichen bei der Jugendweihe seit 1955 das Buch „Weltall Erde Mensch“ überreicht. Es postuliert die Überlegenheit der sozialistisch geprägten Wissenschaften und Erkenntnisse gegenüber den christlichen Überzeugungen und bürgerlichen Weltanschauungen. Inge Lohmark ihrerseits hatte sich auch gegen die einseitig sozialistisch verortetet Wissenschaft gestellt, indem sie z. B. Stammbäume von Adelsgeschlechtern ihre Schüler hatte zeichnen lassen. Und überhaupt: In Greifswald ist aller Darwinismus futsch, wenn man Caspar David Friedrichs Sonnenuntergang sieht und ihn mit der Ostsee im Rücken in der Natur erlebt. Geschickt hätte Judith Schalansky einige Motive dieses, aus ihrem Geburtsort Greifswald stammenden, großartigen Malers in ihrem Roman untergebracht, sie hätte sich bestimmt in ihrem kunsthistorischen Studium mit ihm beschäftigt.

Der Pfarrerssohn Jakob bliebe im Roman blass, für Inge Lohmark geht es in ihrem Glaubenssystem weniger um Entwicklung sondern vor allem darum, mit dabei zu sein und nicht unter zu gehen. Religion ist bei ihr nur als Lücke vorhanden. Und doch geht ihr das Staunen nicht aus. Und die Auflösung käme am Schluss des Romans: die naturwissenschaftlich geprägte Antipädagogin sieht die Strauße tanzen, der Schlusssatz lautet: „Inge Lohmark stand am Zaun und schaute.“ Damit, so die drei Pfarrer, wäre für die Protagonistin der Beginn einer Entwicklung gelegt, die sie so gänzlich in diesem „Entwicklungsroman“ vermisst hätten.

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