Elsternest

Kyōto – Alte Hauptstadt, alte Tempel (JR-12)

Tag 12: Kyōto, 21. Oktober 2023

Ein besonderes Abenteuer liegt an diesem Morgen vor der Reisegruppe: Der Bus, der die Gruppe so zuverlässig über die Insel Shikoku und nach Kyōto gebracht hat, steht heute nicht zur Verfügung. Deshalb sollen die einzelnen Sehenswürdigkeiten, die heute auf dem Programm stehen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden. Kein einfaches Unterfangen: Mit 25 Personen mit Bus und Bahn von A nach B und dann weiter nach C kommen. Zumal, bis auf die Reiseleiterin Iho, sich keiner mit japanischen und chinesischen Schriftzeichen auskennt, die das Straßenbild beherrschen.

Organisation ist alles

M. hat die die Reiseleiterin bei der Planung unterstützt und schlug ihr gestern vor, Kleingruppen zu bilden. Keiner sollte verloren gehen, alle haben sich in der Gruppe im Blick. In jeder Kleingruppe sollte jemand sein, der über eine japanische SIM-Karte verfügt und jemand, dem das Auffinden von Wegen und Himmelsrichtungen nicht fremd ist. So können die Kleingruppen untereinander kommunizieren und der Weg kann gefunden werden.

120 m Halle des Tempels Sanjusangen-do

Erstes Ziel der Gruppen ist der Sanjūsangen-dō, ein buddhistischer Tempel, der zur Tendai-Tradition gehört. Der Name Sanjūsangen-dō bezieht sich auf die 33 Zwischenräume der Halle: Ohne tragende Wände hat die Längswand der Haupthalle 33 Zwischenräume zwischen 34 Pfeilern. Bei einer Zwischenraumlänge von knapp vier Metern ergibt sich eine Breite der Halle von 120 m!

1001 Kannon-Statuen von atemberaubender Schönheit

Die Zahl 33 verkörpert dabei auch die 33 Formen, die Bodhisattva Kannon annehmen kann. Absolut überwältigend die in der Tempelhalle stehenden 1001 Kannon-Statuen. Etwa 1,8 m hoch, zeigen sie alle den Bodhisattva Juichimen-senju-sengen Kanzeon (elfköpfiger, tausendarmiger, tausendäugiger Kannon). Vor den vergoldeten Kannon-Figuren stehen Schutzgötter (z. B. der Donnergott mit Trommeln und der Windgott mit einem Windsack) und buddhistische Heilige. Der Betrachter ist überwältigt von der Schönheit dieser Schnitz- und Bildhauerkunst.

Weiter geht es mit dem Bus. Gut, dass jeder ein Tageskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel hat, da entfällt das lästige Ticketlösen (zumal man das Geld abgezählt beim Aussteigen aus dem Bus beim Fahrer abliefern muss). Ziel ist der Philosophenweg.

Den Philosophenweg entlang

Der Name des Philosophenwegs geht auf den Philosophen Kitarō Nishida zurück. Täglich ging er meditierend diesen Weg, entlang eines kleinen Kanals, zur Universität Kyōto. Heute reihen sich an dem ungefähr 2 km langen Pfad viele Cafés, Restaurants und Kimono-Geschäfte. M. und seine Gefährten sind hier vor allem auf dem „Weg des Essens“, weniger auf dem der Philosophie: Es wurde ein Restaurant ausgesucht, das traditionelle Tofu-Speisen zubereitet. M. ist völlig überrascht, in welch vielfältiger Form man Tofu zubereiten kann. Die Speisen werden an kleinen Tischen eingenommen, unter die man nur mit Mühe seine Beine schieben kann. Ein Gaskocher erhitzt die Brühe in einem Topf, in dem die Tofustücke erwärmt werden.

Tofu-Essen

Philosophisch wird es dann doch noch durch Michael von Brücks Lesung aus Tanizaki Jun’ichirō’s Lob des Schattens. Dabei handelt es sich um ein erzählerisches Werk, in dem Tanizaki seine ästhetizistische Vorstellung von Schönheit an Einzelbeispielen exemplifiziert. Die freundliche Bedienung des Restaurants begleitet die Gruppe im Anschluss zu dem nahe gelegenen Friedhof, wo sie ihr das Grab von Tanizaki Jun’ichirō zeigt.

Gleich neben dem Friedhof liegt der Tempel Hōnen-in. Durch ein reetgedecktes Tor betritt man den Tempel, der von Anfang an eine magische Wirkung auf M. ausübt. Einmal drinnen, geht man zwischen zwei Sandhügeln hindurch, die den Besucher reinigen sollen. Anschließend überquert man eine schöne Steinbrücke über einen Teich und gelangt dann durch einen moosbewachsenen Garten zu einer geheimen Grotte hinter der Haupthalle.

Nanzen-ji

Den Abschluss des Tages bildet die Besichtigung des Nanzen-ji, einer der bedeutendsten Zen-Tempel in ganz Japan. Er ist der Haupttempel einer der Rinzai-Schulen des japanischen Zen-Buddhismus.

Das hojo ist die ehemalige Residenz des Oberpriesters. Der Besucher betritt den hojo-Gebäudekomplex durch die ehemalige Tempelküche (kuri). Natürlich müssen die Schuhe ausgezogen werden, wie in wie es auch in den Wohnungen üblich ist. Wunderbar die Malereien auf den Schiebetüren (fusuma), die eine realistischere Darstellung von Tigern auf Blattgold enthalten.

Aquädukt in Kyōto

Auf dem Tempelgelände stößt M. auf ein recht merkwürdiges Bauwerk: ein großes Aquädukt aus Ziegelsteinen, das durch das Tempelgelände führt. Der während der Meiji-Zeit (1868-1912) erbaute Aquädukt ist Teil eines Kanalsystems zum Transport von Wasser und Waren vom Biwa-See nach Kyōto. Heute wird der Aquädukt vor allem für Fotoshootings verliebter Paare genutzt, die Frauen vielfach in kunstvollen Kimonos gekleidet.

Michael von Brück in KyōtoIn die Zeit des zu Ende gehenden Tages versammelt Michael von Brück die Reisegruppe vor dem Tempelgebäude und hält einen Vortrag zu Kūkai, dem M. so lange auf Shikoku gefolgt ist. Während des Vortrages wird es langsam kalt, die Sonne neigt über Kyōto sich dem Horizont entgegen. Es ist Zeit, ins Hotel zurück zu kehren …

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