Die AnStifter haben zusammen mit einem breiten Bündnis von Initiativen eine Zeitung zum Deutschen Evangelischen Kirchentag herausgegeben, der vom 3. bis zum 7. Juni in Stuttgart stattfindet. Das Motto des Kirchentages: „Damit wir klug werden“. Die Anstifter haben daraus für ihre Zeitung gemacht: „Protest – damit wir klüger werden“
In der Zeitung Protest habe ich den folgenden Artikel zur Situation der Flüchtlinge veröffentlicht:
Das Meer ist ein nasses Grab
Über das Meer kommen sie zu uns. Ihre Heimat steht in Flammen, marodierende Dschihadisten haben ihr Land besetzt als Antwort auf den Terror, mit dem der syrische Staatspräsident Baschar al-Assad sein Land überzogen hat. Syrien erlebt einen unmenschlichen Bürgerkrieg: Der Islamische Staat mit seinen Kämpfern, die Freie Syrische Armee und ein Bündnis von über sechzig Oppositionsgruppen versuchen, die Herrschaft von Assad zu brechen. Von März 2011 bis März 2015 sind nach Angaben der Vereinten Nationen 220.000 Menschen getötet worden. 2,6 Millionen Syrer flohen aus ihrem Land. Ein Teil von ihnen ist in Ägypten gestrandet und sie haben versucht, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Auch da gerieten sie unter Druck, nachdem das Militär den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt hatte. In wenigen Monaten wendete sich die Stimmung gegen die syrischen Flüchtlinge. Sie waren in ein Land gekommen, das für sie den arabischen Frühling symbolisierte und nun zur Falle wurde. Fremdenhass hatte sich am Nil breit gemacht, geschürt durch TV-Moderatoren. Mutig hatten sie sich eine neue Existenz aufgebaut, betrieben Export/Import-Handel, plötzlich galten sie als Terroristen, die Unsicherheit bringen und wurden als Schmarotzer gebrandmarkt, die den Ägyptern ihre Jobs wegnehmen wollen.
Der Zeit-Reporter Wolfgang Bauer kannte einige von ihnen aus seinen Einsätzen in Homs. Nun wollte er sie zusammen mit dem tschechischen Fotografen Stanislav Krupař auf ihrer Flucht nach Europa begleiten. Die beiden hatten sich eine Legende zurecht gelegt: Sie gaben sich als Englischlehrer einer Kaukasusrepublik aus, wären aufgrund großer politischer und wirtschaftlicher Probleme zur Flucht getrieben worden.
Europas Grenzen sind gut gesichert. Die europäischen Staaten finanzieren eine Organisation, die verhindern soll, dass die Flüchtlinge hierher kommen: Frontex. Sie ist privatwirtschaftlich strukturiert, ausgestattet mit Steuergeldern aus Europa.
An den „Mauern“ Europas starben bis Anfang 2014 ca. zwanzigtausend Flüchtlinge. Die meisten ertranken im Mittelmeer. Keine Seegrenze weltweit fordert mehr Menschenleben. An der innerdeutschen Grenze starben in fünfzig Jahren zweihundertfünfundvierzig Flüchtlinge. Sie wurden als Symbol der Unmenschlichkeit kritisiert. Doch wie reagiert die Öffentlichkeit der freien Welt auf die Toten, die auf ihrer Flucht aus den Krisengebieten des nahen Ostens zu uns im Mittelmeer ertrinken?
Es war Papst Franziskus, der am Anfang seines Pontifikats nach Lampedusa reiste und das Elend der Flüchtlinge geißelte. Wo waren die Politiker aus dem christlichen Abendland, als der Papst für die Opfer betete? Haben die Anhänger von Pegida je die Schicksale der umgekommenen Mensche in den Blick genommen? Sie verteidigen die Werte des christlichen Abendlandes. Ist nicht die Nächstenliebe eine zentrale Botschaft des Christentums? „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“. Wie passt das zusammen?
Wolfgang Bauer und Stanislav Krupař haben sich zusammen mit den Flüchtlingen auf den Weg gemach, haben ihr Schicksal geteilt. Bis sie von der ägyptischen Küstenwache geschnappt, ins Gefängnis geworfen und in die Türkei abgeschoben wurden. Sie habe nicht aufgegeben, haben weiter Kontakt mit ihren flüchtenden Freuden gehalten, die es glücklicherweise bis nach Schweden geschafft haben. Über dieses riskante Unternehmen hat Wolfgang Bauer eine packende Reportage geschrieben, die der Suhrkamp-Verlag veröffentlicht hat: „Über das Meer – Mit Syrern auf der Flucht nach Europa“.