Musiker wohin man schaut, wie im Jahr 2019. Aber das Wetter war in Rudolstadt heuer eher durchwachsen, die Temperaturen erträglich. Dichte Wolken wechselten sich mit Sonnenschein ab, sodass wir nicht wie eine Thüringer Bratwurst gegrillt wurden, wie es uns vor drei Jahren öfters passiert ist.
Bluesharp, Dobrogitarre und Slide – Musiker brauchen nicht viel
Schlendernd bewegen wir uns durch die enge Marktstraße, vorbei an Verkaufsständen, Straßenmusikern, die ohne Bühne einfach mit kleinen Anlagen spielen, wie das Duo Que Passa, das heute wieder an gleicher Stelle spielt, vorbei an den Essensständen am Marktplatz.
Ganz am Ende der Straße befindet sich der Güntherbrunnen, schon außerhalb der Kontrollpunkte, die die Innenstadt nur für Festivalbesucher abtrennen. Ein Armbändchen ist vorzuzeigen, das man zu Beginn nach Vorzeigen seiner Dauerkarte, dieses Jahr 123 €, bekommen hat. Am Güntherbrunnen hat die Festivalleitung noch eine Bühne aufgebaut, hier spielen heute Morgen Nomi & Mac, ein Folkduo aus Reinbeck bei Hamburg. Musiker Mac spielt Bluesharp und Dobrogitarre, die von Hause aus schon laut klingt hier aber noch einmal gut verstärkt rüberkommt. Nomi mit ihrer ausdrucksstarker Stimme singt die Lieder von Robert Johnson, Koko Taylor und Blind Blake, Ry Cooder und von den Rolling Stones dazu. Eine fetzige Live-Performance, bluesgrundiert, liefern Nomi & Mac ab.
Hotel Paladrin – Ein fulminantes Konzert am Samstagmittag
Bei teils verdecktem Sonnenschein sitzt M. auf der Burgterrasse der Heidecksburg. Die vier Burschen aus Österreich vom Hotel Paladrin, die er am Samstagmorgen hört, haben es drauf: perfekt beherrschen sie ihre Instrumente. Neben den üblichen Verdächtigen der Folkmusik, Gitarre Fidel, Bass, spielen sie auch den in der österreichischen Folkmusik eher unbekannten Dudelsack und das exotische, nordische Saiteninstrument Nyckelharpa, um ihrer Musik eine unverwechselbare Färbung zu verleihen.
Sie spielen seit über 20 Jahren zusammen und machen „staubschichtfreie Volksmusik-Traditionen auf mehr Instrumenten, als die meisten Leute ohne viel Nachdenken aufzählen könnten“ wie das Programmheft zu berichten weiß. Dabei gelingt es ihnen mühelos, verschiedenste europäische Folk-Traditionen mit Einflüssen aus Jazz und Klassik zu kreuzen und herauskommt eine mitreißende Mischung. Ihre wunderbaren, melodischen Eigenkompositionen reichern sie mit kunstvoller Jodelstimmakrobatik und Maultrommelklängen an.
Die Formation Deutschlandlieder – Almanya Türküleri variiert die deutsche Musiktradition
Wir bleiben gleich auf der Heidecksburg und wechseln nur die Bühne, auf der Schlosshofbühne spielt ein internationales Ensemble mit Namen Deutschlandlieder – Almanya Türküleri. Die Gruppe besteht nicht nur aus türkischstämmige Musikerinnen und Musiker, der Gitarrist z. B. kommt aus Italien, der Klarinettist hat bosnische Wurzeln und die Bassistin Lea Randella ist in Köln geboren. Sie spielt häufig Rockabilly Rhythm. Heute spielt sie ganz konzertant den Akustikbass.
1961 kamen die ersten türkischen Arbeitsmigranten nach Westdeutschland – seit dem runden Jubiläum im vergangenen Jahr hat sich dieses Datum bei vielen eingeprägt. Weithin unbekannt geblieben ist ein Stück deutscher Musik- und Kulturgeschichte, das diese Einwanderergeneration und auch ihre Kinder geprägt haben: Sie schrieben zahllose Lieder von Sehnsucht und vom Ankommen, vom Leben in der Fremde und von Heimweh, von Liebe, von Kämpfen und harter Arbeit, von Ausländerfeindlichkeit und wachsendem Selbstbewusstsein, von Feiern und neuen Freundschaften. Deutschlandlieder – Almanya Türküleri erzählt von den Gefühlen dieser Menschen, die nach Deutschland kamen.
In ihrem Programm treten ganz unterschiedliche Künstler auf, vom virtuosen Langhalslautenspieler bis hin zur Rapperin. Das Konzept der Aufführung hat der Musiker und Filmemacher Nedim Hazar entwickelt.
Auch auf den Straßenbühnen exzellente Musiker
Von den Bühnen der Heidecksburg geht es hinunter in die Stadt. Eingeklemmt zwischen einem Weinstand mit hervorragenden Weinen, einem Küchenwagen, in dem georgische Spezialitäten wie am Fließband frisch hergestellt werden, und einem rollenden Café steht eine kleine Bühne auf dem Schulplatz. Hier spielt das Duo MEHR ALS WIR.
Mit bassverstärkter Gitarre, Posaune, Flügelhorn, Glockenspiel, Stompbox und Loopstations überraschen die instrumentalen Kompositionen der beiden Leipziger Matthias Ehrig (Gitarre) und Andreas Uhlmann (Trompete, Flügelhorn, Synthesizer) eine erstaunlich dreidimensionale Klangvielfalt. Ihre Kompositionen spielen mit Einflüssen aus Jazz, Pop und Folk.
Eine Stimme, eine Saite: mehr braucht es nicht
Aus Jamaika stammt Brushy One String. Dieser schickt durch eine einzige Saite, die er auf seine Akustik-Gitarre spannt, alles, was er an Herz, Blues, Kraft und Inspiration hat. Der Korpus ist dabei sein Percussions-Set. Seine Musik ist einfach, effektiv und essenziell, dabei mit einem rhythmischen Reichtum, dem man sich nicht entziehen kann.
Brushy wurde 2007 für die große weite Welt entdeckt, als der Filmemacher Luciano Blotta in Jamaika seinen Dokumentarfilm Rise Up über die dortige Underground-Szene drehte. 2014 erschien mit The King of One String eine Doku über sein Leben. Nun steht er auf internationalen Bühnen und genießt sichtlich seinen Ruhm.
Ein Stimmchen bleibt es, wenn es nicht richtig verstärkt wird
Wir wollen es nach dem fulminanten Konzert von Brushy One String etwas leiser angehen lassen und lauschen im Garten des Supturhofs den Liedern der junge englische Folksängerin Rumi-Blue Rowe. Sie singt eigene Lieder sowie Klassiker der Folkmusik. Mit einundzwanzig Jahren steht sie ganz am Anfang des Weges durch den Musikzirkus und muss noch viel Erfahrungen sammeln. Vor allem, wie wichtig ein gutes Equipment ist. Mit ihrer kleinen, tragbaren Verstärkerbox geht ihre Stimme selbst in dem beengten Hof gnadenlos unter, zumal weintrinkende Zuhörer nicht nur zuhören, sondern sich auch unterhalten. Dass gutes Equipment nicht teuer sein muss, hat Georg Aichberger von Cobario erklärt.
An der Ukraine kommt zurzeit niemand vorbei
Die in Lwiw geborene Sängerin, Musikerin, Komponistin und Schauspielerin Mariana Sadovska lebt seit über 10 Jahren in Köln. Sie sollte für das Festival ein Konzert für die Ukraine auf die Beine stellen. Sie trommelte Musiker und Musikerinnen zusammen, die vor dem russischen Angriffskrieg geflohen sind. Mariana Sadovska wollte, dass es ein „Fest wird – ein Sieg von Licht über Dunkelheit, freie Welt über Diktatur, unsere ukrainischen Elfen über russische Orks.“
Und so stehen an diesem Abend ukrainischen Solisten aus Odessa, Kyiv, Lwiw und anderen Landesteilen, mehrere auch mit jüdischem Hintergrund, auf der Bühne. Einige von ihnen leben schon länger in Deutschland, andere sind erst im März gekommen. Seit langem unterstützen sie bei regulären wie Solidaritätskonzerten die Ukrainer. Das Konzert vermittelt einen spannenden Einblick in die ukrainische Musiktradition und ist in dieser Konstellation ein Unikat.