In der Edition Stroux ist gerade der Roman von Toril Brekke Ein rostiger Klang von Freiheit in der Übersetzung von der bekannten Übersetzerin Gabriele Haefs erschienen, den ich mit großer Neugierde gelesen habe. Spielt er doch zu einer Zeit, in der ich selber groß geworden bin. Zeitlich ist er 1968 in Oslo angesiedelt, alles erscheint hier noch ein wenig freier als wir es Ende der 60er Jahre erlebten. Bei uns war es der Beginn des Aufbruchs.
Aus der Perspektive einer 18jährigen geschrieben
Toril Brekke schreibt aus der Perspektive der Ich-Erzählerin, Agathe, geschrieben. Sie steht kurz vor dem Abitur, wechselt noch einmal zu einer freien, vom antiautoritären Summerhill beeinflussten Schule. Agathe ist voller Lebenshunger und bereit sich zu verlieben. Sie lebt mit ihrem kleinen Bruder Morten bei dem Klavierstimmer Isak. Isak ist der Ex-Ehemann ihrer Mutter Veronica. Sie ist eine erfolgreiche Jazz-Pianistin, hat die Familie mit einem Bassisten verlassen und lebt in Kopenhagen, verdient ihren Lebensunterhalt mit Auftritten in Jazz-Clubs. Morten überredet seine ältere Schwester, mit ihm dorthin zu fahren, um Veronica zu suchen. Es kommt zu einer erschütternden Szene, als Morten seine Mutter entdeckt und „Mama“ ruft. Sie dreht sich nicht um. Sie verlässt ihre Kinder ein weiteres Mal. Warum, das bleibt unklar. Diese Mutter ist nicht die Einzige, die sich in der Familie merkwürdig verhält. Alle haben ihre Geheimnisse, gehen sich teils aus dem Weg. Ein Onkel taucht plötzlich auf, nachdem er jahrelang zur See gefahren ist. Und der Klavierstimmer Isak ist nicht der Vater von Morten, obwohl er ihn immer in dem Glauben gelassen hat. Dass Agathe nicht seine Tochter ist, ist von Anfang an klar. Aber wer ist der geheimnisvolle Vater von Morten?
Für Morten wird die Suche nach seinem Vater zur Obsession. Seine Suche endet mit einer Reise nach Frankreich. Dort trifft er schließlich seinen leiblichen Vater. Morten ist das Resultat eines flüchtigen Flirts seiner Mutter mit einem Franzosen, den ein schweres Schicksal getroffen hat. Morten wird von seinem Vater und dessen Mutter mit allergrößter Herzlichkeit aufgenommen. Er hat endlich eine Familie gefunden, die ihm seine Mutter nie hat geben können.
Die sexuelle Freiheit ist nicht ohne Schmerzen zu haben
Es werden auch die Kehrseiten der Freiheit sichtbar, vor allem im Geschlechterverhältnis. Agathe, frühreif genug und sexuell im Prinzip selbstbestimmt, hat zwar kein Problem mit der Aufmerksamkeit, die ihr durch Männer zuteil wird. Aber sie scheint nicht in der Lage zu sein, für sich selbst deutliche Grenzen zu ziehen. Oft lässt sie sich auf ältere Männer ein. Ein Freund, der Aktfotos von ihr gemacht hat, verkauft die Bilder, ohne sie zu fragen. Agathe fühlt sich beschämt und ausgenutzt, sagt aber nichts und nimmt das Geld, das er ihr nachträglich anbietet. Die Verhältnisse von Macht und Begierde sind zwischen den Geschlechtern und den Generationen keineswegs gleich verteilt. Trotz oder gerade vor dem Hintergrund des Aufbruchs in die sexuelle und gesellschaftliche Freiheit.
Das Ende ist ein Paukenschlag
Der Roman von Toril Brekke zeichnet sich durch eine einfache Sprache aus. Gewöhnungsbedürftig sind allenfalls die vielen Personen mit norwegischen Namen, die auftauchen und zur Clique der Protagonistin gehören, ohne eine besondere Rolle zu spielen. Trotz der einfachen Sprache des Romans durchzieht ihn von Anfang eine Ebene, die ihn grundiert und die sich dem Leser erst auf den letzten Seiten erschließt, als der Großvater von Agathe seinen 75. Geburtstag feiert. Alle Familienmitglieder sind gekommen, selbst die im Roman immer abwesende Mutter. Am Ende sind alle Geheimnisse auf brutale Weise gelüftet. Der Schluss erinnert mich an den dänischen Film Das Fest aus dem Jahr 1998, bei dem nach einer Geburtstagsfeier des Patriarchen die Familie in Trümmern liegt. Hier wie dort geht es um Missbrauch. Der Schluss verlangt dem Leser viel ab. Aber es fällt einem wie Schuppen von den Augen, warum die Autorin diese Grundierung der Erzählstruktur gewählt hat. Und darin zeigt sich ihre Meisterschaft.
Ein rostiger Klang von Freiheit
Roman
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
332 Seiten, gebunden
Stroux Edition, Preis: 24 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens