Elsternest

Ahoj dobrý večer Stuttgart!

Jaroslav Rudiš, Dr. Zuzana Jürgens
Jaroslav Rudiš, Dr. Zuzana Jürgens

Er ist wieder da, mit seinem neuen Roman Vom Ende des Punks in Helsinki: Jaroslav Rudiš. Am 8. April las er auf Einladung des Schriftstellerhauses und der Stadtbibliothek im Café LesBar. In ihrer Begrüßungsansprache unterstrich Meike Jung von der Stadtbibliothek, dass, laut Wikipedia, Jaroslav Rudiš 2007 gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft in die Reihe der dreißig wichtigsten Persönlichkeiten Tschechiens gewählt wurde. Bescheiden wie er ist, entgegnete Jaroslav, die Tschechien sei ein kleines Land. Da schimmerte sein Humor zum ersten Mal auf, an dem er an diesem Abend seine Zuhörerschaft in den Bann schlug.

Ahoj dobrý večer – Hallo, guten Abend, so begrüßte er sein Publikum und man spürte, er fühlte sich wohl hier auf der Bühne, in dieser Stadt, in der er Ende letzten Jahres für drei Monate als Stipendiat im Schriftstellerhaus weilte. Meike Jung hatte aus ihrem Plattenschrank eine Platte der Toten Hosen mitgebracht, die Jaroslav hocherfreut auf der Bühne drappierte, spielt doch diese Platte eine wichtige Rolle in seinem jüngsten Roman. Punk ist nicht nur in seinem Roman ein wichtiges Thema. Jaroslav spielt mit seinem Freund Jaromir99 in einer Band mit Punk-Wurzeln. Mit der Vertonung der Kafka-Erzählung „Das Schloss“ trat er schon im Literaturhaus auf, ich berichtete drüber.

Romane, Musikprojekte, Filmdrehbücher, Theaterstücke. Es scheint als wechsle dieser Künstler seine  Schwerpunkte wie das Schlabber-T-Shirt mit seinem Anzug. Dabei sind die Romanprojekte eindeutig sein Schwerpunkt. Fünf Romane hat er seit 2002 vorgelegt und sich nicht nur in die Herzen der Tschechen geschrieben sondern eine Leserschaft in ganz Europa begeistert. Warum ausgerechnet sein Helsinki-Roman in Finnland ein Flop war, kann weder er sich erklären noch die schöne finnische Lektorin, die ihm gesagt hatte, nach der Lektüre nur einer Seite: „Das machen wir auf Finnisch“. Sie sei leider nicht mehr im Verlagswesen, fügte er traurig an.

Ganz und gar kein Flop seien die vielen Auszeichnungen, die Jaroslav erhalten hat, wie die Moderatorin Dr. Zuzana Jürgens ausführte. Als letzte Auszeichnung erhält Jaroslav am kommenden Sonntag den Usedomer Literaturpreis, der neben dem Preisgeld von 5.000 € mit einem einmonatigen Arbeitsaufenthalt auf der Insel Usedom dotiert ist, bei freier Kost und Logis.

Zur Lesung aus seinem Roman stand er auf, klemmte sich wie ein Sänger hinter das Mikrofon und las Passagen in klarer, direkter Sprache aus seinem Roman. Der ausladende Roman ist nicht nur inhaltlich auf unterschiedlichen Ebenen angelegt, auch optisch sind diese Ebenen voneinander unterscheidbar durch Schriftbild und Papierfarbe getrennt. Auf grauem Papier breitet die Punkerin Nancy ihre Jugend aus, als sie, von der sozialistischen Gesellschaft verachtet, um ihren Stolz als Punkerin kämpft.

Jaroslav Rudiš mit seinem neuen RomanDer unschmelzbare Kern des Romans ist ein grotesk anmutendes Konzert, das am 15. September 1987 in Pilsen für den Erhalt des damals so fragilen Weltfriedens veranstaltet wurde. Disco in Moskau ist der Tote-Hosen-Song auf dem Konzert, der zur Hymne wird. Neben den Toten Hosen als Götter der tschechischen Punks traten tschechische Showstars mit umgehängten Keyboards auf, wurden gnadenlos ausgebuht. Hier treffen auch Ohle, heute Betreiber der Kneipe Helsinki, und Nancy aufeinander. Boy meets Girl im Punkgewand, zwei Jahre vor dem für so unvorstellbar gehaltenen großen Sprung über die Zeitmauer: Zwischen Ole aus Leipzig und Nancy aus dem tschechischen Altvatergebirge entwickelt sich eine Amour fou, die, so schnell sie zu lodern begonnen hat, an der eisenharten Realität scheitert. Ein Vierteljahrhundert später beobachten wir, wie der Kneipenwirt die Gespenster seiner Vergangenheit klein hält, wie er seinen tristen Alltag bewältigt und wie er den untergründigen Bedrohungen seines selbst gewählten Einsamkeits-Daseins zu entrinnen versucht.

Durch diese von Schuld und Liebe geprägte Geschichte führte uns Jaroslav Rudiš  mit seiner Lesung. Auch wir gingen mit ihm, wie sein Protagonist Ole, im Anschluss in die Kneipe, um die Schwärze der Nacht mit ein paar Bieren zu vertreiben.

Vom Ende des Punks in Helsinki
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Deutsche Erstausgabe. Erschienen im Luchterhand Literaturverlag
Paperback, Klappenbroschur, 352 Seiten. Preis: 14,99 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens.

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