Elsternest

Der Preisträger des Deutschen Buchpreises 2014 im Literaturhaus

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Lutz Seiler las am 5. November 2014 im Literaturhaus aus seinem ersten Roman „Kruso“. Helmut Böttiger stellte den Autor vor und diskutierte mit ihm über sein Werk.

Lutz Seiler, Jahrgang 1963, wuchs in Ostthüringen auf. Heute lebt er im Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst bei Berlin. Helmut Böttiger erinnerte an sein 1995 erschienenen Debüt “berührt/geführt” im Oberbaum Verlag. Mit “pech & blende” legte Lutz Seiler seinen ersten Band im Suhrkamp Verlag vor. 2003 folgte der Gedichtband “vierzig kilometer nacht”. 2004 erschien die erste Essaysammlung “Sonntags dachte ich an Gott”, 2005 die Erzählung “Die Anrufung“. 2009 legte er einen Band mit 13 Erzählungen unter dem Titel “Die Zeitwaage” vor. Für sein Werk erhielt er vielfach Preise, darunter den Kranichsteiner Literaturpreis, den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, den Preis der SWR-Bestenliste, 2007 den Ingeborg-Bachmann-Preis für die Erzählung “Turksib”. Helmut Böttiger stellte mit dieser Aufzählung die These auf, dass sich der Lyriker Lutz Seiler über den erzählenden Essay sehr langsam der Prosa zugewandt hat. Nun also den Deutschen Buchpreis für seinen ersten Roman „Kruso“.

Darin schildert er die illustre Gesellschaft von Gestrandeten auf der Insel Hiddensee, von der Touristengaststätte „Zum Klausner“ und von den so genannten „Esskaas“, dem Kürzel für die Saisonkräfte, die dort arbeiten, von denen seine Hauptfigur Ed Bendler einer ist. Sie nennen ihre Gaststätte die Arche und Lutz Seiler hat diese Gemeinschaft in einer Skizze am Ende des Buches festgehalten, die Beziehungen der Gruppe werden daraus deutlich, wie sie der Roman langsam aufblättert. Und er erzählt die Geschichte von der Freundschaft zwischen Ed und Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, dem Besitzer des Klausners, von den Stoßzeiten im Klausner, wenn die Kellner zu großer Form auflaufen. Diese Freundschaft wird durch den Verlust von geliebten Menschen gespeist: Kruso hat sein Schwester Sonja bei einem Fluchtversuch über die Ostsee verloren, Ed seine Freundin. Gedichte, die beiden rezitieren, haben den Charakter von Kassibern.

Am Ende begegnet Ed dem Leser auf der anderen Seite der Ostseeküste, im dänischen Kopenhagen. Er macht sich als gereifter Mann auf die Spurensuche nach Krusos verschollener Schwester Sonja, die als junges Mädchen am Strand von Hiddensee herausgeschwommen war und für immer verschollen blieb.

Seiler verfügt über eine „ins Magische spielende Sprache“ (Begründung der Jury), die er in seiner Lesung an diesem Abend bewies. Er greift immer wieder zu drastischen, teils unappetitlichen Bildern, wie dem vom „Molch“ genannten Pfropfen aus dem Schleim der Gaststättenabwässer, den die Tellerwäscher des Klausner schließlich mit vereinten Kräften im Gemüsebeet begraben. Die erzählende Direktheit, auch unappetitlicher Dinge, denen er eine eigene Poesie verleiht, hat er bei Wolfgang Hilbig kennen gelernt, der für ihn wohl wichtigste Schriftsteller der alten DDR.

Lutz Seiler steigt ganz langsam in seinen Stoff ein. Er beschreibt Ed als Student, mit der Fähigkeit ausgestattet, gelesene Gedichte schnell memorieren zu können. Ed arbeitet über Trakl. In den Semesterferien reist er nach Hiddensee, will in einer Kneipe arbeiten. Die Arbeit in der Kneipe wählt er vor allem, weil er darüber eine Schlafstelle bekommen kann, die den Saisonkräften zur Verfügung gestellt wird. Anders käme er nie auf Hiddensee unter, die Ferienquartiere sind über Jahre hinaus ausgebucht.

Lutz Seiler lässt im Gespräch erkennen, dass er selbst Ende der Achtziger als Saisonkraft auf Hiddensee gearbeitet hat, als „Brotholer, erstmals für 1,20 Mark, ohne Schlafplatz, auch für DDR-Verhältnisse ein sehr geringer Lohn. Er ist im folgenden Jahr wieder gekommen, hätte sich in der Küchenhierarchie des Klausners langsam vom Zwiebelschneider in den Abwasch nach oben gearbeitet. Das ist nicht die einzige autobiografische Grundierung des Romans: Auch Seiler hat sich intensiv mit Trakl beschäftigt.

Ausschnitte aus diesem Gespräch sind auf dem youtube-Channel „Lerchenflug“ eingestellt.

Teil 2 und 3 können hier und hier abgerufen werden.

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484 Seiten, gebunden, Lesebändchen
Verlag Suhrkamp/Insel, Preis 22,95 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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