Elsternest

In regelmäßigen Abständen …

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… legt Heinrich Steinfest einen neuen Roman vor. Mit dem 2014 erschienen „Allesforscher“ schaffte er es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, nun ist er wieder da. Ein Projekt so ganz anders als seine bisherigen Bücher ist diese Nacherzählung des Nibelungenliedes geworden und doch, es ist durchzogen von dem unverwechselbaren Steinfest-Sound.

Denis Scheck führte sehr humorvoll in das Gespräch mit Steinfest, am 8. November im Literaturhaus, ein. Im Alter von fünf Jahren hörte Denis Scheck das Nibelungenlied zum ersten Mal im katholischen Kindergarten(!), gelesen von der Erzieherin. Warum, so frage ich mich, sollte dieser blutrünstige Text dem kleinen Denis mehr zugesetzt haben als die nicht minder grausamen Schilderungen im Alten Testament, die sicher dort auch gelesen wurden?
Das Nibelungenlied ist die bedeutendste deutsche Heldendichtung des Mittelalters, dessen Entstehung sich auf die Jahre 1180 bis 1210 (und damit auf die „Blütezeit“ der mittelhochdeutschen Literatur) eingrenzen lässt. Der Text liegt in 35 Handschriften vor. Heinrich Steinfest musste sich für eine Fassung entscheiden und hat die St. Gallener Fassung als Ausgangsmaterial gewählt. Auf die Frage, wie es zu der „Nacherzählung“ gekommen ist, meinte Heinrich Steinfest, es sei eine Auftragsarbeit gewesen. Dieser Auftrag wurde ihm vom Geschäftsführers des Reclam Verlags, Frank R. Max, während eines Abendessens erteilt: Steinfest: „Wenn ein Verleger einen Autor zum Essen einlädt, geht es in erster Linie nicht darum, dem Autor den Magen zu füllen.“ So hat er sich nach dem Allesforscher dem Alleswisser Hagen von Tronje zugewandt und innerhalb von 3 1/2 Wochen den Text kapitelweise geschrieben. Obwohl es eine Nacherzählung in moderner Form ist, ist dennoch ein Steinfest-Roman daraus entstanden, mit dem ihm eigenen Tonfall, dem essayhaften Stil, der ihn auszeichnet.
Sehr schön das Storyboard von Robert de Rijn, das im unteren Drittel jeder Seite das ganze Buch durchzieht und dem ganzen einen filmischen Anstrich verleiht. Der Kinofreund Heinrich Steinfest hat sich Siegfried als Tom Cruise vorgestellt. Für Steinfest gibt es im Nibelungenlied kein eindeutigen Guten und Bösen, die Grenzen sind schwimmend. Siegfried ist einer, der schon mal einen Krieg vom Zaun bricht, um seine Ziele durchzusetzen und ist damit der heutigen amerikanischen Politik verwandt. Es wird deutlich, Siegfried genießt nicht die Sympathie des Autors. Schon eher Hagen. Der Schatz der Nibelungen ist für Steinfest eine Form des Radikalkapitalismus: Der Schatz der Nibelungen ist ein unendlicher und wird von Kriemhild eingesetzt, um sich die Menschen gefügig zu machen und sich ihrer Gefolgschaft zu versichern.
Moderne Frauen häuften keine Schätze mehr an, wiewohl die schier unendliche Zahl von Schuhen bei einigen diesen Gedanken durchaus nahe legen. (Über einen Tresor für diesen Schatz berichtete ich hier.)
Heinrich Steinfest wurde durch die Vorgabe der Nacherzählung diszipliniert. Die Figuren waren vorgegeben und entsprangen nicht seinem Kopf. Er räumte ein, das sei teils schwierig gewesen, denn es bereitet ihm unendlichen Spaß, selber Figuren zu erfinden und sie, ihren eigenen Gesetzen unterworfen, handeln zu lassen. Das sei auch der Grund, warum er diese Auftragsarbeit nicht auf andere Werke der Weltliteratur ausdehnen wolle. Ich frage mich, wie die Bibel in einer Fassung von Steinfest aussähe. Die moderne Fassung eines Jörg Zink ist wesentlich humorloser als die Nacherzählung des Nibelungenliedes von Heinrich Steinfest. Wie genial Steinfest die Einsichten eines modernen Icherzählers in dem Text unterbringt möchte ich mit folgender Textstelle belegen:
Hagen hat gehandelt und den Nibelungenschatz versenkt, die anderen haben gezaudert. „Als die Könige zurückkommen, ist alles vorbei und ihnen bleibt nur die übliche Heuchelei. Sie wussten alle, was er vorhatte, vielmehr noch, sie hatten per Eid beschlossen, den Ort der Verwahrung geheim zu halten. Es braucht nicht zu wundern, dass die Fürsten zwar offiziell Hagens Verhalten kritisieren – wie man einen Polizeipräsidenten kritisiert, wenn mal ein Einsatz eine Spur zu brutal ablief – aber nichts unternehmen, um eine Strafverfolgung einzuleiten“.

Da uns dieser Autor Jahr um Jahr mit einem neuen Roman verzaubert, können wir uns schon auf das nächste Buch von ihm – dann wieder mit Figuren, die seinem eigenen Kopf entsprungen sind – freuen.

Der Nibelungen Untergang
Mit einem Storyboard von Robert de Rijn
120 Seiten, davon 60 illustriert.
gebunden, mit Schutzumschlag
Reclam Verlag, Preis 19,95 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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