Moritz Hildt hat mit Wildnis seinen dritten Band beim Verlag Duotincta veröffentlicht. Der Band umfasst drei Novellen. Die Orte des Geschehens in den drei Geschichten sind räumlich weit voneinander entfernt: die grandiose Landschaft im Nordwesten der USA, die schwäbische Alb und die Berge Österreichs. Ebenso wie die Landschaften sind auch die Protagonisten der Erzählungen in diesen drei, jeweils etwa 50 Seiten umfassenden Texten, sehr unterschiedlich.
Wir fahren auf der Sol Duc Road durch den Olympic National Park
In der ersten Novelle begleiten wir im Text Sol Duc Road das junge Paar Kevin und Lara, die eine Tour in den USA mit einem Camper machen. Die Tour hatten ihnen Laras Eltern geschenkt, eigentlich zur erwarteten Hochzeit. Doch die beiden wollen nicht heiraten, selbst nach fünfzehn Jahren ihrer Liebesbeziehung.
Die detaillierten Landschaftsbeschreibungen des Olympic National Parks zeigen, dass der Autor selber dort gewesen ist. Anlässlich einer Präsentation seines Buchmanuskriptes im Schriftstellerhaus sprach Moritz Hildt über seine Reise in den Nordwesten. Wer die National Parks der USA kennt, weiß, es sind in der Tat wilde Landschaften.
Kevin und Lara begegnen nach ihrer Wanderung durch den Nationalpark Jack Millenburg. Ein als vermisst gemeldeter junger Mann, den sie auf den Stufen ihres Wohnmobils antreffen. Er taucht plötzlich in dem Text auf, genau wie man es von Novellen erwartet, bei denen ein ungewöhnliches Ereignis im Mittelpunkt steht. Wie schon im Roman Alles (Besprechung siehe hier) spielt Moritz Hildt wieder mit dem Zufall. Geschickt plant Moritz Hildt solche Überraschungen in seine Geschichten ein. Zu dritt setzten sie ihre Fahrt fort. Doch so plötzlich, wie Jack Millenburg aufgetaucht ist, so plötzlich ist er nicht mehr da. Oder ist es ganz anders? Hier soll nicht das Ende der Geschichte verraten werden, es ist auf jeden Fall ein Ende ganz im Stil von Mortiz Hildt.
Durch das geschickte Zusammenspiel von Dialogen und präzisen Naturbeschreibungen erzeugt Mortiz Hildt eine atemlose Spannung. Nie sind seine Beispiele platt. Sie fügen sich vielmehr „organisch“ in die Geschichte ein: Lachse versuchen über die Stromschnellen eines Wildbaches zu ihren Laichgebieten zu gelangen. Fasziniert beobachten die drei Abenteurer diesen Kampf der Fische mit der Wildnis.
Ein weiterer Lachs schoss durch die Luft. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war er zu sehen, dann kippte der Fisch in die Gischt, auf halber Höhe zur nächsten Stufe,
„Der hat es nicht geschafft“, sagte Laura nüchtern.
In der Wildnis der österreichischen Berge
Die zweite Novelle, Hunde, wird rückblickend in Ichform von Theodor erzählt. Der Junge erinnert sich an viele Details. Über seine Ankunft im Salzburger Hauptbahnhof berichtet er:
Ich weiß noch, dass die Luft über den dunklen Schienen geflirrt hat, an jenem Augustnachmittag, als ich meinem Vater sah, wie er über den langen, leeren Bahnsteig des Salzburger Hauptbahnhofs auf mich zueilte.
Dieser Eingangssatz führt den Leser unmittelbar in die Geschichte des Knaben, die eine Geschichte eines Kindes erzählt, das zwischen die Welten seiner getrennt lebenden Eltern eingeklemmt ist. Der Vater versucht sich als Immobilienmarkler ein neues Leben in Salzburg aufzubauen. Die Mutter lebt mit neuem Partner in Theos Heimatstadt. Ihre Trennung liegt noch nicht allzu weit zurück. Es ist der erste Besuch von Theo bei seinem Vater in Salzburg. Dieser will ihm natürlich seine neue Umgebung zeigen. Aber nicht nur die Landschaft. Es ist ein Rückblick des Jungen auf Dinge, die er so noch nicht kannte. Sex zwischen seinem Vater und einer Unbekannten, das Glas Sprudel mit einer Scheibe Zitrone, das er, anstelle eines Bieres, in der Gastwirtschaft bekommt. Oder die Erkenntnis, dass Bordelle nicht nur in spärlich beleuchteten Gassen der Großstadt zu finden sind.
Eine Wanderung in den Bergen will der Vater an diesem Wochenende mit seinem Sohn machen. Und wie so häufig, überschätzt auch dieser Vater weitaus mehr die Fähigkeiten seines Kindes, als es die Mütter machen. Die Wanderung führt Vater und Sohn entlang eines kleinen Flusses in ein schmales Tal hinein. Sie ist für den Sohn zu anstrengend. Seine Kräfte schwinden und er drängt auf Umkehr. Ein fernes Grollen deutet an, was sie erwarten würde. Auch hier sei der überraschende Schluss nicht verraten, den Moritz Hildt seinem Leser präsentiert.
Wilde Affairen
In der dritten Geschichte, Trauf, geht es um eine Affäre zwischen den verheirateten Wissenschaftlern Katharina Nehrlich und dem Juniorprofessor Simon Langner. Sie nehmen gemeinsam besuchte Philosophen-Konferenzen als willkommen Anlass, ihre Affäre auszuleben. Von weit entfernten Gegenden in Deutschland kommend, treffen sie sich in Tübingen, brillieren als Redner auf der Tagung und treffen sich abends im Hotelzimmer. Mit der Ausrede, er müsse nach der Konferenz noch mit Kollegen Anträge für Drittmittel formulieren, verschleiert Simon Langner vor seiner Frau eine zusätzliche Übernachtung. Die möchte er mit seiner Geliebten in einem schicken Hotel am Rande des Albtraufs verbringen, inklusiv des Besuchs eines auf dem Trauf gelegenen märchenhaften Schlosses. Doch der Ausflug zu dem Schloss ist alles andere als märchenhaft. Auch hier schleicht sich die Wildnis in die Geschichte ein.
In Trauf erzählt Moritz Hildt mit großer Liebe zum Detail, nicht nur die äußere Umstände, sondern auch Gefühle der beiden Liebenden. Diese Genauigkeit im Erzählen macht den Sound der Geschichten von Moritz Hildt aus, den er schon meisterlich in seinem Roman Alles zum Klingen gebracht hat.
Wildnis
Novellen
180 Seiten, kartoniert, Duotincta Verlag, Preis: 17,00 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens