Natascha Wodin wollte den Weg nach Stuttgart nicht mit dem Zug zurücklegen, um am Festival der Sprache teilzunehmen. Zu groß ist die Gefahr einer Ansteckung in Zeiten der hohen Corona-Inzidenzwerte. Daher kommt sie am 20. November mit der Professorin für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Uni Tübingen, Schamma Schahadat, nur über Zoom ins Gespräch.
Die beiden sprechen über Wodins neues Buch Nastjas Tränen. Ein Roman, der sehr stark autobiografisch geprägt ist. Als Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft. Am Ende fällt die Wahl auf Nastja aus der Ukraine, dem Herkunftsland von Wodins Mutter. Die wurde im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt. Nastja, eine Tiefbauingenieurin, konnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im wirtschaftlichen Chaos ihrer Heimat nicht überleben. Im Heimweh dieser Ukrainerin, mit der Natascha Wodin mehr und mehr eine Freundschaft verbindet, erkennt sie das Heimweh ihrer Mutter, die daran früh zerbrochen ist.
Natascha Wodin bekam für ihren Roman „Sie kam aus Mariupol“ viel Anerkennung
In dem Roman Sie kam aus Mariupol hatte Natascha Wodin ihre eigen Familiengeschichte verarbeitet. Es war ihr bislang größter Erfolg als Autorin. Er trug ihr mehrere Auszeichnungen ein, allen voran den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 in der Sparte Belletristik. Das Buch machte sie einem größeren Publikum bekannt und befreite sie von der Furcht vor möglicher Altersarmut. In dem Buch begab sie sich auf Spurensuche nach Herkunft und Leben ihrer früh verstorbenen Mutter. In ihrem neuen Buch folgt sie ähnlichen Spuren: Frauen, die aufgrund der ökonomisch schwierigen Verhältnisse in der Ukraine in den Westen gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Hier sind es die materiellen Verhältnisse, die die Protagonistin zwingen, ihre Heimat zu verlassen, in Sie kam aus Mariupol ist es das faschistische Regime, das Frauen in die Zwangsarbeit führt.