Um es vorweg zu nehmen: Thaddäus Troll nicht. Er hat im Alter von 66 Jahren seinem Leben ein Ende gesetzt. Einem Leben im Dienst des geschriebenen Wortes, im Dienst an vielen Schriftstellern, denen er unter die Arme gegriffen und deren literarischen Weg er geebnet hat. Ob in gewerkschaftlichen Organisationen oder schriftstellerischen Vereinigungen wie dem „Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg e. V.“, den er 1973 mit gründete. Am 14. März wäre dieser großartige Schriftsteller und „Netzwerker“ 100 Jahre alt geworden, Anlass zu feiern.
Der Förderkreis vergibt seit 1981 einen zu seinen Ehren genannten Preis, beschlossen im Juli 1980, auf der ersten Sitzung nach dem Tod von Thaddäus Troll. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst alimentiert das Preisgeld. Jedes Jahr werden Autoren mit diesem Preis ausgezeichnet, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Vierzehn Preisträger lasen am Tag des hundertsten Geburtstag im Max-Bense-Saal der Stadtbibliothek.
Ich hadere mit diesem Saal, er liegt unter der Erde, bar jeden Tageslichts, funktional aber nicht gemütlich. Was das Team der Leiterin der Bibliothek, Christine Brunner, aus dem Saal an diesem Abend gemacht hat, ließen meine Vorbehalte wie Schnee in der Frühlingssonne schmelzen: locker aufgestellte Tische, darauf Blumen, ein frühjahrsgemäßer, blühender Forsitienzweig in der Vase neben dem Rednerpult, Essen und Getränke zur Stärkung in den Pausen des Lesemarathons.
Die langjährige Sekretärin von Thaddäus Troll, Eleonore Lindenberg, sprach die einführenden Worte zur Veranstaltung, die den sprechenden Titel „Schriftstellen“ trug, bevor die erste Staffel des Lesemarathons begann.
Der Preisträger von 2013, Martin Gülich, machte den Anfang mit einer Lesung aus seinem 2003 erschienen Werk Bagatellen. Es ist, wie er sagte, ein altes Werk und durchbrach mit diesen Worten die erste Regel an diesem Abend. Es sind kurze, humorvolle Texte, über die ein Thaddäus Troll sicher geschmunzelt hätte.
Thommie Bayer trat als nächster ans Rednerpult, ihm wurde der Preis 1992 zugesprochen. Bevor er mit dem Schreiben von Romanen begann, zog er als Liedermacher mit seiner 12seitigen Gitarre und Bernhard Lassahn durch die Lande. Ich liebte ihren Song vom letzten Cowboy, der aus Gütersloh kommt und Thommie Bayer fasste im Roman zusammen, was ich damals häufig empfand: Das Herz ist eine miese Gegend. An diesem Abend las er aus seinem gerade erschienen neuen Roman Die kurzen und die langen Jahre. Zum Cowboy passt das Zitat aus dem neuen Roman: „Kennedy starb vor Winnetou. In einem Blaupunkt Radio der eine und im Scala beim Bahnhof der andere“.
Mit einem humorvollen Text erwies Joachim Zelter Thaddäus Troll seine Reverenz. 2000 bekam er den Preis für sein Werk Die Würde des Lügens. Die Textpassage aus Briefe aus Amerika hatte mich schon bei seiner letzten Lesung in Stuttgart beeindruckt. Ich konnte ein Exemplar bei ihm erwerben, leider ist es im Handel nicht mehr erhältlich. Was ist Lüge, was ist Wahrheit? Eine Frage, um die Joachim Zelter in seinen Werken kreist. Zelter gehört zu den Autoren, die sich erfolgreich dagegen sträuben, Romane ausufern zu lassen. 300, 400 oder gar 900 Seiten überlässt er anderen, wie jüngst wieder Schätzing. Ich bezweifle allerdings, ob Schätzing mit seinem neuen Buch ähnlich bered ist wie Joachim Zelter mit seinen kurzen, dichten Romanen auf sprachlich hohem Niveau.
Zum Schluss des ersten Teils las Anna Breitenbach Lyrik. Sie hatte den Preis ein Jahr später als Joachim Zelter erhalten, so passt die Reihenfolge an dieser Stelle. Trotz der strengen lyrischen Form bestach ihr Vortrag durch Humor und Leichtigkeit.
Die Pause gab Raum nicht nur für Snacks und ein Glas Wein sondern auch für anregende Gespräche und Stöbern auf dem langen Tisch mit Werken der Preisträger. Alte und neue Werke der Preisträger präsentierte die Stadtbibliothek. Sowohl die alte Bücherei am Charlottenplatz zeigte, als auch die neue Bibliothek zeigt in ihrer Präsenzabteilung die Schriftsteller aus Baden-Württemberg im Besonderen die Thaddäus-Troll-Preisträger. Eine Etage, auf der ich mich gerne lesend und stöbernd aufhalte.
Eva Christiana Zeller eröffnete den zweiten Leseteil mit ihren Gedichten, für die sie als 9. Preisträgerin den Preis 1989 erhielt. Sie veröffentlicht im Tübinger Klöpfer & Meyer Verlag, der sich noch eine Lyriksparte leistet. Viele Verlage haben mittlerweile die Lyrik wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Leider finden sich auch nur wenige Lyrikbände im Buchhandel trotz des Umstands, dass die lyrische Szene in den letzten Jahren sehr starke Impulse durch Festivals, Leseabende und Performances erhalten hat.
Michael Buselmeier las aus seinem Dantezyklus, den er, inspiriert von Dante-Lesungen seiner schauspielernden Schwester, entwickelt hat. In den Gedichten durchschreitet er Dantes Hölle, den Holocaust, den Gulag, kommt in den letzten Gedichten im Paradies an, ein erleichterndes Ende.
Rainer Wochele setzt sich – ähnlich wie Thaddäus Troll – für die Belange der Schriftsteller ein, ist Mitglied im P.E.N und Schriftstellerverband, deren Vorsitzender er lange war. Und: er schreibt wunderbare Romane in einer ihm eigenen, rhythmisierten Sprache. Sein letzter Roman, Sand und Seide, ist noch nicht versandet, da zieht er schon wieder aus seinem karierten Jackett ein neues Manuskript hervor, Arbeitstitel Der Katzenkönig. Passend die von ihm gelesene Szene im Klösterle, das schwäbische Lokal im ältesten Haus in Bad Cannstatt, direkt neben dem nach Thaddäus Troll benannten Platz. Hans Bayer, alias Thaddäus Troll, wuchs in Bad Cannstatt auf, sein Vater hatte ein Seifensiedergeschäft in der Marktstraße.
Matthias Kehle ist der letzte Preisträger, er bekam den Preis 2013 für sein lyrisches Werk aus den Händen von Frau Bussmann. Ingrid Bussmann hat 12 Jahre die Stadtbibliothek geleitet. Heute ist sie Vorsitzende des Förderkreises deutscher Schriftsteller. Matthias Kehle las aus seinem 2012 bei Klöpfer & Meyer erschienen Gedichtband Scherbenballett. Beeindruckend, wie er in wenigen Zeilen ein Bild seines Großvaters entwirft. Dessen ganze Tragödie als Soldat einer faschistischen Armee kommt darin zum Ausdruck und die Unfähigkeit, mit der Vergangenheit abzuschließen.
Markus R. Weber veröffentlichte 1998 seinen Prosaband Extremisten, für den er den Preis im gleichen Jahr zugesprochen bekam. Es scheint ein Thema zu sein, das ihn immer noch beschäftigt, das kommt in den Texten, die er an diesem Abend las, zum Ausdruck.
Er zitierte auf seiner Projektion einen Satz aus den Tagebüchern von Musil: „Solange man in Sätzen mit Endpunkten denkt, lassen sich gewisse Dinge nicht sagen, höchstens vage fühlen.“
Carmen Kotarski brachte einen Text mit, den sie für Thaddäus zum 100. Geburtstag geschrieben hat: Von Sprache, von Worten, ein Abschied. Kein Jubeltext, das hätte ich ihr auch nicht unterstellt. Nachdenklich, ins Wortholz der Lyrik geschnitten. Ihre an diesem Abend präsentierten Haiku, hatte sie mir vorab geschickt. Es war schön, sie nun von ihr gelesen zu hören. Sie trat im gleichen Kostüm auf wie damals, als sie den Preis erhalten hat: Lederjacke und Baskenmütze. Eine Wortperformerin:
„Was sich auch um sich selbst dreht
im Inneren erwarten sie momentan lebende Akteure“
Martin von Arndt hat den Preis 2010 für seinen Roman Der Tod ist ein Postmann mit Hut bekommen (auch bei Klöpfer & Meyer). Ich erinnere mich an die Diskussion beim Bachmann-Wettbewerb, heftig wurde er für den gelesenen Ausschnitt kritisiert. Die Endfassung war preiswürdig. In seinem Roman Oktoberplatz, der im weißrussischen Minsk und in Budapest spielt, erzählte er von der schwierigen Suche seiner Protagonisten nach einer neuen Sicht vom Leben in Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion. Sein neuer Textauszug nimmt dieses Thema wieder auf. Diesmal angesiedelt auf dem südlichen Balkan.
Vor sechs Jahren bekam Annette Pehnt den Preis für ihren Roman Mobbing.
Dass sie auch die kurze Form beherrscht, zeigte sie mit Ausschnitten aus ihrem Lexikon der Angst. Sie berichtet gekonnt von einem Gefühl das jeder kennt, aber auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Es nimmt jede nur erdenkliche Gestalt an, lauert uns auf oder schlägt uns in die Magengrube. Mit schriftstellerischer Leidenschaft nimmt sie im Lexikon alles auf, was das Leben zu bieten hat: von der Existenzangst bis zur Todesangst. Sie las einige dieser kurzen Geschichten.
Zwei der lyrischen Form Verbundene bildeten den Abschluss des Abends. Es ist immer schwierig, zum Schluss eines solchen Marathons zu lesen, lässt doch die Konzentration bei dem ein oder anderen Zuhörer nach oder es wirkt schon der Trollinger, in der Pause getrunken.
Susanne Stephan und Walle Sayer schafften es noch einmal, die Gedanken auf diese kurze literarische Form zu fokussieren. Beide haben im Klöpfer und Meyer Verlag eine beträchtliche Anzahl von Lyrik-Bänden vorgelegt. Als passionierter Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs habe ich mich vor Jahren gefragt, wie man einen ganzen Band mit Gedichten zum Thema Tankstellen füllen kann. Susanne Stephan hat es mühelos geschafft, führte mich mit ihrer Lyrik auf eine völlig andere Art und Weise an die Tränken der modernen Karawanen. Sie hatte den Preis 2007 auf Grund eines noch nicht veröffentlichten Manuskriptes erhalten, das sie ein Jahr später unter dem Titel Gegenzauber veröffentlichte.
Walle Sayer schreibt, ja was denn? Kurzprosa? Gedichte? Er hat eine ganz eigene Form entwickelt, mischt beide in eins. Dabei entstehen hoch verdichtet Sprachstücke. Mal nennt er sie Gedichte, dann wieder Miniaturen oder bescheiden Notate aber auch Panoptikum. Sein letztes Buch trägt diese Bandbreite schon im Titel: Strohhalm, Stützbalken.
Vier Stunden Lesungen und Gespräche neigten sich nach den Texten von Walle Sayer dem Ende zu. Dem Dank der Vorsitzenden des Fördervereins der Schriftsteller in Baden-Württemberg, Ingrid Bussmann, an das Team der Bibliothek und die vielen Helfer kann ich mich nur anschließen. Ich bin sicher, wir müssen nicht 100 Jahre warten, um in Stuttgart wieder mit einer so hochkarätigen Literaturveranstaltung beglückt zu werden.
Ergänzung: Die im Text nicht mit Jahreszahl des Preises erwähnten Autoren
Michael Buselmeier, Preisträger 1995
Eva Christiana Zeller, Preisträgerin 1989
Carmen Kotarski, Preisträgerin 1988
Rainer Wochele, Preisträger 1984
Walle Sayer, Preisträger 1994