Elsternest

Alles Dada oder was?

dada Faul und Braun
Eckhard Faul und Michael Braun präsentieren Dada-Texte
Dada ist 100 Jahre alt geworden und das Schriftstellerhaus veranstaltete dazu eine Revue mit zwei ausgewiesenen Kennern der Materie. Eckhard Faul und Michael Braun „gastierten“ mit ihrem Vortrag am 25. Februar im Schriftstellerhaus Stuttgart in der Kanalstraße 4. Viele Sendungen haben den Geburtstag des Dadaismus am 5. Februar 1916 in den Blick genommen, hundert Jahre nach der Gründung des legendären Cabaret Voltaire durch Hugo Ball und seiner Freundin Emmy Hennings in Zürich – unweit von Lenins Exilwohnung – in der Spiegelgasse 1. Modern, provokativ und erfinderisch rechnete diese neue Kunstrichtung unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges mit den verlogenen Idealen der Gesellschaft ab, die den Krieg herbeigeführt hatten.

Die Welt versinkt in einem Weltkrieg und die Künstler suchen nach neuen künstlerischen Ausdrucksweisen

Eckard Faul und Michael Braun hatten keinen Schamanenhut dabei wie ihn Hugo Ball am 5. Februar 1916 in der „Künstlerkneipe Voltaire“ trug, die wenig später in Cabaret Voltaire umbenannt wurde. Und sie spannten den zeitlichen Horizont noch einige Jahre weiter auf: Schon 1914 schrieb Hugo Ball unter dem Pseudonym Klarinetta Klaball zusammen mit Klabund und Marietta die Monaco einige Gedichte (Teile aller ihrer Namen finden sich in dem gewählten Pseudonym). In Berlin gehörte er zu der expressionistischen Avantgarde. Hugo Ball entwickelte sich zu einem resoluten Kriegsgegner und beschäftigte sich intensiv mit Revolutionsbewegungen und Anarchismus. 1915 veranstaltete er eine Gedächtnisfeier für gefallene Dichter, deutsche und französische (!). Ende Mai 1915 floh er mit seiner späteren Frau Emmy Hennings in die Schweiz.

Für Hugo Ball wird kreative Entgrenzung zum Programm: „Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Diese vermaledeite Sprache… Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfängt.“

In Zurüch erblickt Dada das Licht der Welt

In Zürich traten die Künstler Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck auf die Kleinkunstbühnen und formulierten im Juli 1916 im Cabaret Voltaire ihr „Dada-Manifest“, in dem es hieß:
„Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man berühmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn. Bis zur Bewußtlosigkeit. Wie kann man alles Journalige, Aalige, alles Nette und Adrette, Bornierte, Vermoralisierte, Europäisierte, Enervierte, abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou. Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.“

Das Lautgedicht wird bei Dada Programm

Nur zu gerne wüsste man, wie Hugo Ball sein Lautgedicht «Karawane» im kubistischen Kostüm als magischer Bischof vorgetragen hat. Es gibt keine Tondokumente aus dem Cabaret Voltaire. In seinem Tagebuch schreib Hugo Ball zu seiner Rezitation:

„Die schweren Vokalreihen und der schleppende Rhythmus der Elefanten hatten mir eben noch eine letzte Steigerung erlaubt. Wie sollte ich’s aber zu Ende führen? Da bemerkte ich, dass meine Stimme, der kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm, jenen Stil des Messgesangs, wie er durch die katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wehklagt. Ich weiss nicht, was mir diese Musik eingab. Aber ich begann, meine Vokalreihen rezitativartig im Kirchenstile zu singen und versuchte es, nicht nur ernst zu bleiben, sondern mir auch den Ernst zu erzwingen.“ (Hugo Ball: „Die Flucht aus der Zeit“, Wallstein-Verlag)

Eckhard Faul rezitierte das Lautgedicht „Karawane“ weder im kubistischen Kostüm noch als magischer Bischof.

Schon nach wenigen aufreibenden Monaten des Cabaretbetriebs zog sich Hans Ball ins Tessin zurück. Mit der Galerie Dada kehrte er dann noch einmal für kurze Zeit nach Zürich und zum Dadaismus zurück. Während Balls Weggefährten DADA zu einem Credo erhoben, von dem sie ihr Künstlerleben lang zehrten, blieb es für Ball nur Episode. Er konvertiert zum Katholizismus, studiert die alten Mystiker hielt Vorträge in Deutschland und der Schweiz. Trotz der kurzen Dada-Phase entstand ein vielfältiges dadaistisches Werk, das die richtungsweisenden 10 Lautgedichte umfasst, ein „bruitistisches Krippenspiel“ und den DADA-Roman „Tenderenda der Phantast“ (beide posthum veröffentlicht).

Von Hans Arp hier das Gedicht Opus Null, veröffentlicht 1924:

Richard Huelsenbeck, der sich in Zürich zu Hugo Ball gesellt und in Hans Arp und Tristan Tzara Gleichgesinnte gefunden hatte, gründet 1918 in Berlin Club Dada. Von ihm stammt das Gedicht die Dada Schalmei:

Tristan Tzara rezitierte im Cabaret Voltaire „Negerlieder“. Sie erfüllen sicher nicht mehr den Tatbestand sprachpolitischer Korrektheit. Aus manchem Reim funkelt der Glanz vergangener Epochen. Seine Lautgedichte nahmen die Neugierde der Zeit nach Exotik auf und verwandelten sie in priesterlichen Singsang, mit fremden Lauten spielend. Auch damals schon: die Kleinschreibung als Stilmittel.

Michael Braun trug ein Gedicht aus dem Negerliedzyklus vor, den Sotho-Neger:

Der deutsche Künstler, Maler, Dichter und Werbegrafiker Kurt Schwitters gehörte ebenfalls zum Kreis der Dadaisten. In Stuttgart ist er mit seinem grafischen Werk in der Staatsgalerie vertreten. Für den Dichter Schwitters war das Jahr 1919 der Durchbruch zu einem eigenständigen Stil mit dem Gedicht „An Anna Blume“:

Mit der Revue DADA 100 hat das Schriftstellerhaus an diesem Abend durch die beiden Kenner der Materie, Michael Braun und Eckard Faul, einen guten und amüsanten Einblick in diese wichtige Kunstform aus dem Anfang des vorherigen Jahrhunderts geben.

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