Die aus Syrien geflohene Autorin Wajiha Said las am 24. Oktober 2017 im Rahme des Lesefestivals „Stuttgart liest ein Buch“ in der Stadtteilbibliothek Bad Cannstatt. In Syrien ist sie eine bekannte Autorin und Frauenrechtlerin und hat bereits im arabischen Sprachraum dreizehn Bücher veröffentlicht.
Über die Balkanroute kamen Wajiha Said, ihr Mann, ihre Tochter Lounar und ihr Sohn Souyar nach Weinstadt, wo sie nach anfänglicher Unterbringung in einer Massenunterkunft Heimat gefunden haben. Sie sind zwei Wochen lang durch sechs Länder gelaufen. Angekommen in Deutschland hat Frau Said begonnen, ihre Erfahrungen dieser Flucht aufzuschreiben. Mittlerweile ist es als Buch unter dem Titel: Die fünfte Durchreise auf Arabisch erschienen.
Musikalische Begleitung durch die Kinder der Autorin
An diesem Abend in Cannstatt ist die ganze Familie anwesend und gestaltet das Programm: Wajiha Said liest aus ihrem Buch, die Tochter Lounar singt Lieder aus ihrer kurdischen Heimat, begleitet von ihrem Bruder Souyar auf der Saz, der siebensaitigen, langhalsigen Laute, die überall in den Ländern des vorderen Orients gespielt wird.
Hier in der Stadtteilbibliothek Bad Cannstatt erklingt die Musik der beiden jungen Leute, ähnlich wie vor fünfzig Jahren in diesem Stadtteil die Musik der Arbeitsmigranten aus Griechenland, Italien und der Türkei in den Kneipen erklang, denn Bad Cannstatt hat einen extrem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergund. Das war auch ein Grund, warum die Stadtbibliothek Stuttgart das Ansinnen der Leiterin dieser Dependance, Frau Kirchner, von Anfang an unterstützt hat, als Kooperationspartner des Lesefestivals neben der Bibliothek am Mailänder Platz einen eigenen Programmpunkt zu gestalten. Dazu gehörte nicht nur die Einladung an eine Autorin und ihrer musikalischen Kinder, sondern auch eine Kooperation mit der evangelischen Pfarrerin Friederike Weltzien und der Flüchtlingsgruppe „Hand in Hand“ anzubahnen, die die Übersetzungen machten und die Zuhörer am Schluss mit in Weinblätter gerolletem Reis beköstigten. Süßspeisen aus Syrien und mit Minze gewürzter Kartoffelkuchen brachten Freunde der Autorin mit.
Im Visier des Staates wird Wajiha Said zur Flucht gezwungen
An diesem Abend wird im Gespräch klar, warum Wajiha Said aus ihrer Heimat fliehen musste. Sie floh aus ähnlichen Gründen wie der jungen Mann in Shida Bazyars Roman Nachts ist es leise in Teheran, der als Kommunist vor der Machtübernahme der Mullahs floh. Auch sie ist mit ihrer Kritik an dem politischen System in ihrem Land ins Visier des Assads-Regimes geraten: Sie schilderte in ihren Büchern die Situation politischer Gefangener und schrieb über die inhaftierten Frauen im Frauengefängnis in Al-Hassaki.
Wajiha Saids Buch Die fünfte Durchreise ist nicht nur Tatsachenbeschreibung der schwierigen Situation in den Grenzgebieten Syriens und der Flucht aus ihrer Heimat. Es ist vielmehr ein lyrisch stark verdichteter Stoff, der sehr intime Passagen enthält, die sie in einer ungewöhnlichen Form abgefasst hat. Die Gewalt, die ihr angetan wurde wird von ihr personalisiert in einer fiktiven männlichen Person, ja diese Erlebnisse werden zum Mann. Ihr lebhafter Diskussionsstil erfordert einen hohen Einsatz von der Übersetzerin, Frau Weltzin, die dabei von Syrern aus der Flüchtlings-Gruppe „Hand in Hand“ unterstützt wird.
Lesung und Gespräch: zweisprachig
Vier Passagen liest Wajiha Said in arabischer Sprache. Die Zuhörer haben so Gelegenheit, die arabische Sprachmelodie zu erleben. Die deutsche Übersetzung liest die Stuttgarter Künstlerin Christa Lippelt gleich im Anschluss eines jeden Teils. Die deutschen Besucher können so dem Gelesenen und der Diskussion mit der Autorin folgen.
Nach Lesung, Gespräch und Diskussion mit dem Publikum und dem musikalischen Abschluss überreicht Frau Kirchner der Autorin einen großen Blumenstrauß und bedankt sich im Namen ihres gesamten Teams. Blumen, die bei uns bei solchen Anlässen gerne übergeben werden, sind in der vom Bürgerkrieg zerrütteten Region des nahen Ostens eine Seltenheit geworden. Es bleibt zu hoffen, dass der Krieg bald zu Ende geht und Blumen auch in der Heimat der Familie Said wieder blühen können. Dann kann Wajiha Said wieder in ihrer Heimat publizieren und muss sich nicht auf den steinigen Weg machen, der mit der Übersetzung und der Verlagssuche verbunden ist. Wenn ihr Buch übersetzt einen Verlag findet, was wir ihr wünschen, dann wird das für sie die sechste Überquerung.
Die fünfte Überquerung
arabische Ausgabe
zu beziehen über die Autorin (Anfragen bitte an Michael Seehoff stellen, Kontaktdaten im Impressum)