Elsternest

Katrin Seglitz erzählt von Zarathustra

Katrin Seglitz Zarathustra kam an einem Donnerstag Rezension Besprechung

Zarathustra kam an einem Donnerstag heißt der neue Roman von Katrin Seglitz, der in dem kleinen, unabhängigen Verlag osbert+spenza erschienen ist. Es ist die Geschichte eines afghanischen Flüchtlings, der Unterkunft bei Iris aus Salem findet. Er hält es in seiner Flüchtlingsunterkunft nicht mehr aus und Iris hatte der lokalen Flüchtlingsinitiative angeboten, wenn einer in Not ist, könne sie helfend einspringen. Sie wohnt alleine, ihre Kinder sind aus dem Haus. An einem Donnerstag steht Zar vor ihrer Tür, zusammen mit Brigitta, die in der Flüchlingsinitiative engagiert ist. Eigentlich heißt er Zarduscht oder auch Zarathustra, kurz Zar. Er ist aus Afghanistan geflohen, denn die Taliban verfolgen rigoros alles, was den Prinzipien der heiligen Religion des Islam zuwiderläuft. Infolgedessen auch Menschen, die sich als Atheisten, Freidenker oder als Zoroastrier verstehen. Sie müssen ihre Überzeugungen verbergen und ein Leben führen, das an den islamischen Vorschriften ausgerichtet ist. Damit beginnt Katrin Seglitz ihren Roman. Alles scheint einfach und dann ist es doch kompliziert.

Iris lebt zwar allein, ist aber in einer Beziehung mit Arne. Der lebt bei ihr, bei seiner Ex-Frau in Göttingen, bei der seine Kinder leben und auf dem Weinberg in Freyburg (Unstrut) in Sachsen-Anhalt. Ein ruheloser Geist, einer, der versuchte, aus der DDR zu flüchten. Und so ist der Roman auch eine Geschichte über eine Dreiecksbeziehung zwischen Flüchtlingen und einer Eingesessenen.

Zarathustra bedeutet auf Persisch goldener Stern oder gelbes Kamel. Sein Name erklärt das Kamel auf dem Cover des Romans. Kamele sind auch als Zeichen zwischen den einzelnen Abschnitten des Romans eingefügt und von denen gibt es wahrlich viele. In verschiedenen Erzählsträngen versucht die Autorin, den Leser an ihre drei Protagonisten heranzuführen. Und immer wieder steht das Thema Flucht und die Schriften Friedrich Nietzsches, hier besonders sein Werk Also sprach Zarathustra im Mittelpunkt. Wobei dieses vielschichtige Werk für alle drei Perspektiven Zitate bereithält.

Zwei mit Fluchterfahrungen

Arne ist wie Zar ein Geflüchteter. Arne hat es damals nicht geschafft, die DDR zu verlassen und wurde ins Gefängnis geworfen. Zarduscht hat nicht nur seelische Verletzungen durch die Flucht erfahren, sondern auch seine Schneidezähne bei einer tätlichen Auseinandersetzung mit seinem Schlepper verloren. Aber trotz seiner traumatischen Erlebnisse, schaut Zar nach vorn. Er nimmt sein Leben in die Hände, sucht sich eine Putzarbeit und beginnt schließlich eine Bäckerlehre.

Arne hingegen hängt an der Vergangenheit und ist eher rückwärtsgewandt. Er kommt nicht los von seiner Exfrau, bei der seine Kinder leben. Sie hat ihn wegen eines anderen verlassen. Bei Iris ist er auch nicht sesshaft. Immer wieder fährt er nach Sachsen-Anhalt zu seinem Weinberg in Freyberg. Er ist Fassmacher und kommt viel rum, Kunden hat er in Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg. Er ist einer, der sich eher durch vieles Reden auszeichnet als durch beständiges Tun. Das beschreibt Katrin Seglitz in schönen Bildern und einer lyrischen Sprache:

Immer noch redetet Arne, er schichtete Ast auf Ast, Scheit auf Scheit, Wort auf Wort, Geschichten waren seine Leidenschaft, möglichst lückenlos sollte es sein, das war sein Ziel, er wollte wissen, wie sich eins aus dem anderen ergeben hatte, welche Ursachen welche Folgen hatten, damit keine Lücke blieb, keine.

Viele kulturhistorische Details

Allerdings flechtet Katrin Seglitz durch ihn viele kulturhistorische Details ein, die den Lesefluss doch arg hemmen. Seitenlange Erläuterungen zu August dem Starken, zur Geschichte der DDR, kulturhistorisch und kirchenhistorische Details werden von ihr in dem Roman untergebracht, ohne dass sie die Geschichte voranbringen. Ebenso verhält es sich mit der Schrift von Nietzsche Also sprach Zarathustra, die die Autorin in langen Passagen zitiert.

Zar ist aufgrund seiner Religionszugehörigkeit mit Zarathustra verbunden, den er als einen tanzenden Gott imaginiert und der in krassem Widerspruch zu den rigiden Religionsvorstellungen der Taliban steht. Im Gegensatz zu ihm ist Arne angezogen vom Willen zur Macht. Diese Seite der Schrift von Nietzsche wird von der AfD instrumentalisiert.

Schleichende Verschiebung nach rechts

Trotz seiner eigenen Fluchterfahrungen und obwohl er bei Amnesty International engagiert ist, liebäugelt er mehr und mehr mit den Positionen der AfD in seiner Heimatregion, er wird sogar Mitglied in dieser Partei. Diesen Widerspruch versteht weder seine Freundin noch der Leser. Seine neuen politischen Ansichten und seine Unfähigkeit, sich auf die Liebe zu Iris einzulassen, führt erwartungsgemäß zu Spannungen in der Beziehung zu Iris.

Arne war immer noch unterwegs. Sie merkte, wie ihre Bereitschaft nachließ, ihn zu verstehen. Ihn und seinen Drang nach oben. Wie viel Zusammenhalt braucht eine Liebe? Wie viel Raum, damit jeder auch eigene Wege gehen kann? Arne war früh seiner Wege gegangen und beim Versuch, die DDR zu verlassen, im Gefängnis gelandet. Deshalb verstand sie nicht, warum er plötzlich für Grenzen war.

Dem Leser geht es wie Iris. Zu viel bleibt in diesem Roman in der Schwebe, Konturen fehlen, die die Handlungen der Personen erklären würden. Es wird zu viel von den Personen behauptet, anstatt ihr Handeln und Situationen, die sie durchleben zu beschreiben. Zu den privaten Spannungen kommen noch die politischen, die die Protagonisten zusehens voneinander entfernen. Eine Vielzahl von Konflikten: Flüchtlingskrise, Ost-West-Entfremdung, Rechtspopulismus, die Unfähigkeit Beziehungen zu leben, versucht die Autorin in ihrem Roman zu verhandeln und es ist ihr nicht durchgehend gut gelungen. Begrenzugen auf weniger Konflikte hätten dem Roman gutgetan.

Zarathustra kam an einem Donnerstag
Roman
282 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Verlag osbert+spenza, Preis 24 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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4 Kommentare

  1. An einem Donnerstag vor über 10 Jahren rief mich die Schriftstellerin an. Sie frug mich, ob sie wohl einen afghanischen Asylsuchenden im Haus aufnehmen sollte.
    Ich riet ihr ab.
    Als ich am Montag zu ihr kam, saß er an unserem Abendbrotstisch.
    „Was meinst Du?“ fragte sie mich dann in der Küche. „Wieviel sollte ich vom Landratsamt als Unterbringungskosten für den Asylsuchenden geltend machen ?“
    „250 Euro im Monat ?“ Schlug ich vor. „Na, sagen wir 350.“ Antwortete sie.
    „Dafür sollten wir aber mal das Zimmer ausmüllen, das Du ihm zur Verfügung stellst. In den Schränken sind noch alle Schlüpfer Deiner Tochter gestapelt. Lass uns die mal auf den Boden räumen.“
    „Ist das nötig ?“ Fragte sie ihn daraufhin drüben im Esszimmer. „Nein, nicht nötig!“ sagte er.
    „Siehste!“
    „Wenn Du ausmüllen willst,“ sagte sie, „hast Du ja ein eigenes Haus im Osten, dass Du ausmüllen kannst. Geh doch zur AfD mit Deinen Ansichten.“
    Da packte ich meine Koffer, zog zurück nach Weißenfels, müllte mein Haus aus und ging zur AfD.
    Nun hat sie einen Roman daraus gemacht.

    https://www.schwaebische.de/regional/oberschwaben/ravensburg/privatpersonen-nehmen-fluechtlinge-bei-sich-auf-650299

      1. Ist übrigens schon der zweite Roman, in dem sie die traumatische Begegnung mit mir Verarbeitet (Link unten). Im ersten Roman geht sie der Frage nach
        „Was ist besser: Knechtschaft oder Freiheit?“
        Oder, wie sie sich ausdrückt:
        „Was ist besser: Sozialismus oder Kapitalismus?“
        Sie wollte immer von mir wissen, ob Knechtschaft („Sozialismus“) nicht auch seine guten Seiten habe.

        Übrigens bin ich nicht „aus der DDR geflüchtet“, sondern wurde am 13. März 1984 aus einem Gefängnis in Chemnitz in Handschellen außer Landes verschubt („Bei Fluchtversuch wird geschossen“). Das war der so genannte Häftlingsfreikauf.

        Aus der DDR konnte man schwerlich flüchten. Da stand ja ne Mauer.
        https://www.youtube.com/watch?v=SGhn7pPzFFU

  2. P.S.:

    Bin übrigens von Beruf weder Winzer noch Böttcher, sondern Anwalt, habe das mal in Tübingen studiert und war, als ich bei ihr wohnte montags bis donnerstags in der Kanzlei.

    Das Narrativ vom ostdeutschen Mann:

    „Handwerklich geschickt, aber eben nicht so klug und feinsinnig und edel wie ich.“

    Ja, das ist ein schöner Selbstbetrug.
    Aber weiter verbreitet, als man denken könnte.

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