Odile Kennel ist die erste von vier Stipendiaten, die für ein viertel Jahr mit ihren schriftstellerischen Ambitionen 2014 ins Haus „Kanalstraße 4″ einzieht. Am 4. Februar stellte sie sich mit einer Lesung dem literarisch interessierten Publikum vor.
Sie hat französisch-deutsche Wurzeln, ist das Kind einer Städtepartnerschaft, wie sie humorvoll erklärte. An diesem Abend las sie sowohl aus dem Text, mit dem sie sich um das Stipendium beworben hatte und den sie hier weiter schreiben will, als auch aus ihrem bei DTV erschienen Roman „Was Ida sagt“. Ort der Handlung dieses Romans: die Normandie.
Eine komplizierte Geschichte, die aus drei verschiedenen Frauenperspektiven erzählt wird: Ida, Paulette und Louise. Was taugen Erinnerungen und wer steht in wessen Schuld? Alles beginnt in den achtziger Jahren, als die jüngste Protagonistin Louise zur Beerdigung ihrer Großtante in die Heimat reist. Nach elf Jahren der Abwesenheit. Sie hatte nach dem Tod ihres Vaters 18-jährig ihre französische Heimat verlassen und zog nach Berlin, um Geschichte zu studieren. Nun trifft sie auf ihre Mutter Paulette und deren Cousine Ida, die ihr bis dahin vollkommen unbekannt war.
Die Geschichte geht zurück in die Zeit der deutschen Besatzung und beschreibt die Folgen einer Liebe zwischen Menschen aus verfeindeten Völkern. Liebe kennt keine Grenzen und schert sich nicht um Nationalitäten. Damals nannte man diese Liebe „horizontalen Kollaboration“.
Welche Folgen, hier auf familiärer Ebene, hat der Krieg? Wie lange wirken Verletzungen der Seele nach? Das sind Fragen, die dieser Roman stellt, die heute immer noch aktuell sind. In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten Mal der Ausbruch des ersten Weltkriegs. Wir blicken auf den Ausbruch des 2. Weltkriegs vor 75 Jahren zurück, der für diese Geschichte so prägend ist. Und in diesen Tagen fährt unsere Verteidigungsministerin nach Afghanistan und Mali, um den deutschen Soldaten zu vermitteln, wie „wertvoll“ ihr Einsatz dort ist. Wenn Krieg schon in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Familie, so schmerzhafte Spuren hinterlässt, wie schlimm sind sie dann erst die im kollektiven Gedächtnis?
Es ist sicher kein Antikriegsbuch, das Odile Kennel geschrieben hat. Es sind die Bilder, die sie im Text durchscheinen lässt, die die Fragen nach Freund und Feind aufwerfen. Es ist das Buch einer Autorin, deren Eltern die Vorurteile und den Hass auf die Menschen einer anderen Nation überwunden haben und die Liebe in den Mittelpunkt gerückt haben. Wir können heute glücklich sein, dass diese Völkerverständigung auf so fruchtbaren Boden gefallen ist.
Das Thema „Nie wieder Krieg“ ist aktueller denn je, nicht nur im Jahr des Gedenkens des Ausbruchs des ersten Weltkriegs. Ich bin bei den Anstiftern in einer Gruppe, die dieses Datum in den Blick nimmt und die Linien zwischen 1914 – 1939 – 2014 aufzeichnen will. Es wird Artikel hier im Elsternest dazu geben, versprochen!
Odile Kennel schreibt neben Prosa auch Lyrik. Wir werden Gelegenheit haben, ihre lyrische Seite am 13. März im Schriftstellerhaus kennen zu lernen.