Zwei Jahre konnten wir aufgrund von Corona nicht zum bekannten World Music Festival fahren, dieses Jahr sind wir wieder da. Die Ferienwohnung bei Jan hatte M. sich über die vergangenen Jahre gesichert. Sie liegt einige Kilometer nördlich von Rudolstadt in Blankenhain.
Das Rudolstädter Festival hat eine lange Tradition
Die Geschichte des Festivals reicht bis 1955 zurück. Damals fand in Rudolstadt das „1. Fest des deutschen Volkstanzes“ statt. Es wurde zu einem DDR-Tanz- und Folklorefest, zu dem zahlreiche Gruppen aus Osteuropa anreisten. Nach der Wende wagte die Stadt 1991 mit einem zeitgemäßen Konzept den Neustart. Es findet immer vom ersten Donnerstag im Juli bis zum darauffolgenden Sonntag statt, also dieses Jahr vom7. – 10. Juli. Jedes Jahr gibt es einen Länderschwerpunkt, um das sich beim Festival alles dreht oftmals kommt noch ein Instrument hinzu, das im Mittelpunkt steht. In diesem Jahr sind es die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens.
Für uns ging es nach dem Anreisetag am Freitag so richtig los. Das Eröffnungskonzert am Donnerstag ließen wir sausen, es fing erst um 21 Uhr an und die vier weiteren Konzerte dauerten bis weit nach Mitternacht. Da aßen wir in unsere Ferienwohnung lieber gemütlich Spaghetti und tranken einen Rotwein.
Andreas Gabriel und seine Gruppe Verändler aus der Schweiz
Unseren ersten Gig heute erleben wir in den Bauerngärten. Die kleine Bühne neben den Bauernhäusern im Heinepark gibt einen intimen Rahmen für Andreas Gabriel und seine Gruppe Verändler. Eine außergewöhnliche Gruppe, die der Schweizer Geiger Andreas Gabriel da um sich gescharrt hat. Er stammt aus einem der kleinsten Kantone der Eidgenossen, aber seine Musik ist groß. Der Nidwaldner Andreas Gabriel hat die innerschweizerische Geigentradition mit seiner Band rundum erneuert. Damit ist er Teil einer neuen Schweizer Volksmusikszene, die mit den helvetischen Wurzeln respektvoll, einfallsreich und virtuos neue Klangwelten auslotet. Sie stehen für grenzoffenes Spiel, bringen Erfahrungen aus Jazz oder Klassik mit. Sie spielen ein Konzert, das von Lebensfreude nur so sprüht. Der klassisch ausgebildete Andreas sah sich mit einer „prekären“ Situation konfrontiert. Auf der einen Seite wollte er Volksmusik spielen, auf der anderen Seite war die Geigentradition in der Innerschweiz eigentlich ausgestorben. Er war ein Exot, als er die Geigenmusik wiederbelebt hat. Die Mitglieder der Gruppe sind auf ihren Instrumenten ebenso hoch ausgebildet: Die achtköpfige Gruppe spielt Geigen, Schwyzerörgeli, Posaune, Tenorhorn, Alphorn, Saxophon, Gitarre, Halszitter und Bass, teils konzertieren sie an mehreren Instrumenten.
Versorger sind auch wieder mobil dabei
Um das leibliche Wohl braucht man keine Angst zu haben. An vielen Stellen gibt es Buden, die nicht nur die Thüringer Bratwurst verkaufen, sondern vom Crêpe bis zu veganen, indischen Köstlichkeiten die ganze Palette des internationalen Fast Foods. Natürlich fließt das Köstrizer Bier in Strömen, die Brauerei ist Sponsor und Kaffee wird sowohl an festen Ständen wie auch an bunten, historischen Fahrzeugen ausgeschenkt. Das alles zu deutlich höheren Preisen, als sie vor der Pandemie noch zu zahlen waren. Unter drei Euro war eine Bratwurst aus Thüringen nicht zu bekommen, auf der hoch gelegenen Burg muss man mal gleich fünf Euro auf den Tresen legen, damit man mit einem Stück Wurst versorgt wird. Da stellt sich schon die Frage, wer hier wen versorgt.
Cobario: Alte Bekannte spielen auf eigene Rechnung
Die Gruppe Cobario erlebte M. schon 2019 an gleicher Stelle im Park. Es ist schön, sie wieder hier zu treffen. Ihr exzellenter Gitarrensound verzaubert und ihr Wiener Charme verzückt. Musikalisch bleiben sie nicht in Österreich, sie entführen die Zuhörer einmal um die Welt mit ihren Kompositionen, die ganz ohne Worte daherkommen, die Bilder entstehen im Kopf. Sie konzertieren sowohl in Clubs aber auch in großen Sälen (waren in Stuttgart schon mehrfach im Theaterhaus), an jeder Stelle mit klarem, kristallinen Gitarrensound. Der, so verrät der Gitarrist Georg Aichberger aus einer Lautsprecheranlage quillt, die etwa tausend Euro kostet. Das Hörerlebnis lässt auf eine Anlage zu einem weit höheren Preis schließen. (Siehe auch hier)
Cobario spielt ganz ohne Gage vonseiten des Veranstalters im Park, jeden Tag mehrere Konzerte. Ein gutes Training unter Live-Bedingungen für Peter Weiss, der dem ausgeschiedenen Gitarristen Jakob Lackner alias „El Coba“ folgt und sich gut in das Repertoire eingearbeitet hat. Der CD-Verkauf, ihr Hauswein und die „Kulturschweine“ die grasend durchs Publikum wandern, füllen ein wenig die Kassen dieses außergewöhnlichen Trios.
Aus Kanada kommt Mélissa Laveaux
Um zu Mélissa Laveaux zu gelangen, müssen wir aus dem Park quer durch den Ort hoch zur Heidecksburg. Hier sind zwei große Bühnen aufgebaut, eine im Burghof und eine auf den Burgterrassen.
M. hatte sich von Mélissa Laveaux aufgrund der Ankündigung im Programm viel versprochen, zudem sieht sie auf dem Pressefoto in wallendem Gewand und afrikanischer Flechtfrisur umwerfend aus. Sie hat haitianischen Wurzeln und spielte schon während ihres Studiums der Sozialwissenschaft in Ottawa in Clubs und Musikkneipen der Stadt. Talent Scouts wurden auf ihre ungewöhnlich soulige Stimme aufmerksam und ihren, als eigenwillig beschriebenen, perkussiven Gitarrenstil. Er hat ihr Einladungen zu Jazz-, Blues- und Weltmusikfestivals eingebracht. Und so wird sie als ungewöhnliche, afro-feministische Sängerin angepriesen.
Als Highlight angekündigt, als Lampe gelandet
Was M. beim Konzert von Mélissa Laveaux erlebt, deckt sich nicht mit den Erwartungen, die er hat. Ihre dreiköpfige, aus Frankreich kommende Band, begleitet die Künstlerin aus Kanada souverän. Beim Versuch, Laveaux zu fotografieren, wird M. gleich mal darauf hingewiesen, dass Mélissa Laveaux nicht möchte, dass man Fotos von ihr macht.
Warum, so fragt man sich, stellt sie sich dann auf eine Bühne? Und dazu in diesem Outfit? Virtuoses Gitarrenspiel kann M. bei dem Konzert nicht erkennen, eine ausdrucksvolle Stimme schon. Aber das reicht ihm nicht, bis zum Ende des Konzerts auf seinem Klappstuhl sitzend zu lauschen.
Fotos diesmal mit dem iPhone
Ein Wort zu den Fotos: Bei der Ankunft in Rudolstadt stellte M. fest, dass er seine Digitalkamera zu Hause gelassen hat. Zum ersten Mal nutzt er für alle Fotos vom Festival die Kamera seines iPhones. Gerade bei Gesichtern und im Zoom-Bereich kommt die Kamera vom iPhone 8 nicht an seine Fujifilm FinePix X10 heran und die diversen Programme der Kompaktkamera fehlen M. schon sehr. Was sehr gut funktioniert, ist die Videofunktionalität des iPhones. Hier konnte M. einige Momente wunderbarer Straßenmusik und Bühnenkonzerte einfangen wie z. B. bei diesen beiden aus Krakau stammenden Musikern von Que Passa, Jarosław Dzień und Marcin Hilarowicz.
Sie verwandeln den Nachmittag in Rudolstadt plötzlich in Friday Night in the Market Street dank ihres virtuosen Gitarrenspiels, das sich so wohltuend von dem vorhergesehenen Gig abhebt.
Ein Highlight am Abend – Degenhardt stand Pate
Abends dann noch einmal rauf auf die ungezählten Stufen zur Heidecksburg rauf, um dem Konzert von Andreas Rebers zu lauschen.
Er hat die Lieder der ersten zwei Platten der Ikone der deutschen Liedermacher, Franz-Josef Degenhardt, im Gepäck. Rumpelkinder – Schmuddelstilzchen nennt er sein Programm, das er mit zwei exzellenten Gitarristen bestreitet. Rebers selbst klärt über den Hintergrund seines Projektes auf:
„Am Heiligen Abend 1969 lag unter unserem Christbaum ein, in Geschenkpapier verpacktes, quadratisches Päckchen, für das sich scheinbar niemand interessierte: Portrait: Franz Josef Degenhardt. Ich durfte die Platten erst nach dem Weihnachtsfest in unserer Musiktruhe abspielen, tröstete mich aber mit den Zeichnungen auf dem Cover, die eine gewisse Gertrude Degenhardt gezeichnet hatte. Stundenlang starrte ich auf die grotesken Gesichter und malte mir aus, was sie mir vorsingen würden. Dann erlaubte mir Mama, die Langspielplatten aufzulegen. Und das tat ich. Und zwar ununterbrochen. Anstatt Peter Alexander, Will Glahé oder Willy Schneider tönte nun die Stimme von Väterchen Franz durch den ‚kleinen Kaukasus‘, wie ich die Heimat meiner Kindheit nannte. Innerhalb einer Woche konnte ich jedes Chanson auswendig und ich sang das Lied vom Weintrinker und von den Wölfen im Mai. Das war vor fünfzig Jahren, und es wird Zeit, sich dieser Lieder wieder anzunehmen. Bevor es zu spät ist.“
Wie er die Lieder mit Geschichten aus seiner Kindheit und mit politischen Statements zur gegenwärtigen Situation verbindet, das ist ganz große Kabarettkunst!