Elsternest

Thomas Rosenlöcher und die Pflastersteine

Thomas Rosenlöcher
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Thomas Rosenlöcher, derzeitig noch Stipendiat im Schriftstellerhaus, las aus seinem Tagebuch der Wendezeit Die verkauften Pflastersteine am 18. November in der Kanalstraße 4. Er hatte schon zu Beginn seines Stipendiums an diesem Ort aus seinem lyrischen Werk gelesen. Er ist ein Lyriker, der sich zeitlebens eingemischt hat. Der widersprochen hat. Dass dieser Abend von lebhaften Diskussionen geprägt war, verwundert daher nicht. Was, so wurde gefragt, ist heute mit den Menschen in Dresden los, die sich zu tausenden einem rechtspopulistischen Bündnis anschließen? Was ist aus dem demokratischen Aufbruch im Herbst 89 geworden? Nationale Töne herrschten auch 89, erzählte Rosenlöcher. Wie im Dezember 1989 beim Besuch von Helmut Kohl in Dresden, werden bei Pegida schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt. Ihm ist diese Bewegung genauso unheimlich wie uns.

Gehen oder bleiben

In seinen Textpassagen wird sein genauer, gelassener und ironisch-skeptischer Blick auf die Tage der Wende deutlich. Doch auch sein Selbstzweifel. Kollegen von ihm hatten die DDR Jahre vorher Richtung Westdeutschland verlassen. Sollte er ihnen nachfolgen? Er überlegte, sich um ein Stipendium in Worpswede zu bewerben. Er fürchtete, der Kummer mache ihn provinziell und das immer gleiche Gejammer über Unfreundlichkeit und Verfall mache ihn utopie- und kunstunfähig. Er verließ nicht die DDR. Lakonisch urteilt er über die Gegangenen: „Keiner ist besser geworden.“

Er blieb und schrieb über diese Zeit. Die Redaktion der Dresdner Tageszeitung Union fragte im Herbst 89 bei ihm an, ob er ihnen seine Texte zum Abdruck geben würde. Er fragte ungläubig, ob sie das unzensiert tun wollten. „Ja“. Da wusste er, eine neue Zeit ist angebrochen. Auch nach dem Fall der Mauer, 9. Oktober, notierte er weiter in seinem Tagebuch seine Gedanken und Beobachtungen zum Übergang.

Biere sind der Generalsekretär des kleinen Mannes

Von Prügeleien mit Polizisten erzählte er, den anfänglich verhaltenen Spaziergängen durch die Stadt. Die Teilnehmer wurden mehr, obwohl sie nie die Zahl der in Leipzig demonstrierenden erreichten. Leipzig war das Zentrum der Montagsdemos, Dresden eher eine Randerscheinung. Bei Pegida ist das heute umgekehrt. Die größten Massen mobilisiert das Dresdner Bündnis. Er mischt sich immer wieder unter die Demonstranten, um zu erfahren, was sie treibt, diesen Demagogen hinter her zu laufen. Es sind keine strammen Rechtsradikale, die fahnenschwingend durch die Innenstadt ziehen. Eher verängstigte Kleinbürger, die in Scharen aus den umliegenden Ortschaften angereist kommen, Schilder mit den Namen ihrer Orte in die Höhe recken. Verängstigte, die um ihren Besitz fürchten, die ihr Bier in Ruhe im Garten trinken wollen und die auf die Frage, was sie von der Vereinigung gehabt haben antworten: „Den Schaden!“ Verunsichert wie auch 1989. Damals schrieb Thomas Rosenlöcher über den hohen Bierkonsum der Leute: Biere sind der Generalsekretär des kleinen Mannes. Er bezeichnet das als „muffig“, für ihn der schlimmste Begriff überhaupt für die Zustände. Muffig war die DDR und muffig sind die Anhänger von Pegida.

Thomas Rosenlöcher spürt im heutigen Dresden, was wir auch in Stuttgart spüren: Die Stadt ist gespalten. Dort stehen den Pegida-Anhängern ebenso viele Menschen gegenüber, die für ein tolerantes Miteinander eintreten. Hier hat die Frage nach dem Neubau des Bahnhofs die Bevölkerung gespalten. Bei aller Freude über das Geschenk des Neuanfangs 1989 hat er das Verdummungspotential der Menschen bei weitem unterschätzt.

Die verkauften Pflastersteine
Taschenbuch, 115 Seiten
Suhrkamp Verlag, Preis: 7,00 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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