Elsternest

Von der Küste gestürzt – Auf der Suche nach dem Verstehen

andreas_neeserAndreas Neeser hat im letzten Jahr als Stipendiat des Schriftstellerhauses an seinem nun erschienen Roman: „Zwischen zwei Wassern“ geschrieben. Am 6. März las er auf Einladung des Schriftstellerhauses in der LesBar der Stadtbibliothek Stuttgart daraus Auszüge.

Der heute 50-jährige Autor studierte Germanistik, Anglistik und Literaturkritik an der Universität Zürich. Dreizehn Jahren unterrichtete er an einem Gymnasium, bevor er den Dienst quittierte und sich ganz der Schriftstellerei widmete.

Immer wieder hat ihn die Bretagne zu Gedichten inspiriert, erzählte er seiner Gesprächspartnerin Astrid Braun. Lange sei ihm keine Idee für eine längere Geschichte während seiner Aufenthalte gekommen. Und dann ist es doch passiert. Das Ergebnis liegt nun mit dem 184 Seiten umfassenden Roman vor.

Wasser und die Küste sind Sehnsuchtsorte, wie Astrid Braun in ihrer Einführung erläuterte. Wir fahren als Urlauber dorthin. Immer wieder, so wie auch der namenlose Ich-Erzähler. Über Jahre hält er Kontakt mit dem dort lebenden Deutschen Max, einer Künstlerseele, der mit den Fischern lebt und Steinbrocken behaut. Dann passiert ein Unglück: Der Erzähler und seine Freundin Véro stürzen ins Meer. Sie ertrinkt, er wird gerettet. Ein Jahr nach dem tragischen Unfall kommt der Zurückgebliebene wieder nach Feunteun Aod, ein kleines Fischerdorf in der Bretagne, will endlich einen Neuanfang machen und das Geschehen hinter sich lassen. Er, Lehrer wie ehedem sein Autor, ist ein Kläger ohne einen Angeklagten, denn das Meer nimmt, ohne dafür verurteilt werden zu können. Bild um Bild zerreißt der Ich-Erzähler auf der „Kanzel“, einem Felsvorsprung, die Bilder der Erinnerung, stopft sie in die Köpfe von Seetieren und wirft sie über die Klippe. Véro strahlt auf den Bildern wie eine, der das Glück alle Glieder lang zieht. Und er hat sie nie gefragt weshalb. Und nun ist er mit seiner Trauer allein, die er erst nach einem Jahr hier am Ort des Geschehens zulassen kann. „Portionenweise gebe ich etwas von ihr her, alles, weil es anders nicht geht. Weil es irgendwie gehen muss. Krabbenfutter. Was für ein Wort.“, heißt es im Roman. Um das Meer zu verstehen braucht es nur zwei Aussagen, erklärt ihm der Fischer John le Bars:
Das Meer nimmt. Das Meer macht keine Fehler.

So einfach ist das für die Leute hier, die gelernt haben, mit den Gefahren des Meeres zu leben und von ihm. Véro hatte diese Lektion nicht gelernt, bevor sie von der Welle erfasst wurde, die sich fünf Kilometer vor der Küste auftürmte und dann mit voller Wucht aufprallte. Wie kann Trauer gelingen, wenn es keine Leiche, kein Grab gibt, auf das man Blumen legen kann? Wie kann ein Neuanfang aussehen? Das verrät Andreas Neeser an diesem Abend nicht aber er gibt Antworten auf diese Frage und auf die von Schicksal, Zufall und Schuld in seinem neuen Buch, geschrieben in einer dichten, lyrischen Sprache.

Zwischen zwei Wassern
184 Seiten, gebunden. Erschienen im Haymon Verlag, Preis: 17,90 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens.

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